Berücksichtigung beeinträchtigungsbedingter Belange beim Zugang zu Bachelor- und Staatsexamens-Studiengängen
Beeinträchtigte Studieninteressierte gehen manchmal davon aus, dass sie auch ohne Hochschulzugangsberechtigung aufgrund von Härte- oder Nachteilsausgleichsregelungen studieren dürfen. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Härtefallantrag nur begrenzt wirksam
Die meisten Hochschulakteure, aber auch die Bewerber und Bewerberinnen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten gehen davon aus, dass bei der Bewerbung für einen Studienplatz chancengleiche Bedingungen in Bezug auf Zugangsvoraussetzungen und Vergabeverfahren für Studienplätze bestehen. Diese Annahme basiert in der Regel auf dem Vorhandensein einer Vorabquote für Fälle außergewöhnlicher Härte.
Dabei wird oft übersehen, dass die Härtequote erst dann wirken kann, wenn die allgemeinen und besonderen Zugangsvoraussetzungen bereits erfüllt sind. Hinzu kommt, dass nur ein Teil der Bewerber und Bewerberinnen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten die Voraussetzungen für die Anerkennung als Härtefall erfüllt, gleichzeitig aber durchaus durch bestehende Regelungen und Verfahren in Bezug auf Zugangsvoraussetzungen und Vergabekriterien benachteiligt wird. Daher sind ergänzend zu Härtefallquoten geeignete Maßnahmen des Nachteilsausgleichs im Bewerbungs- und Zulassungsverfahren notwendig.
Zugangsvoraussetzungen: welche Nachteilsausgleiche sind möglich?
Allgemeine Zugangsvoraussetzungen müssen erfüllt sein
Manche Bewerber/innen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten gehen irrtümlich davon aus, dass sie aufgrund von Nachteilen im bisherigen Bildungsverlauf auch
- ohne Hochschulzugangsberechtigung oder
- mit einer für den jeweiligen Hochschultyp „nicht passenden“ Hochschulzugangsberechtigung (beispielsweise Fachhochschulreife für ein Universitätsstudium)
aufgrund von Härte- oder Nachteilsausgleichsregelungen studieren dürfen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr muss stets eine „passende“ Hochschulreife nachgewiesen werden.
Aufnahme- und Eignungsprüfungen: Anspruch auf angemessene Vorkehrungen
In einigen Studiengängen oder für bestimmte Personengruppen kann eine (studiengangbezogene) Hochschulzugangsberechtigung durch eine Aufnahme- oder Eingangsprüfung an der Hochschule erworben werden. Aufnahmeprüfungen in künstlerischen Studiengängen, aber auch im Fach Sport entscheiden in vielen Fällen über die Vergabe der Studien-Plätze.
Bewerber/innen, die für die Durchführung solcher Prüfungen Nachteilsausgleiche benötigen (beispielsweise Verlängerung der Bearbeitungszeit, Einsatz technischer Hilfsmittel), sollten dies so früh wie möglich bei der Hochschule bzw. den durchführenden Stellen beantragen. Sofern es dazu keine explizite Regelung gibt, sollten sie sich dabei stets auf den „Grundsatz der Chancengleichheit bei berufsbezogenen Prüfungen“ berufen und auf die Regelungen in Bezug auf Prüfungen für Studierende (§ 16 HRG sowie Landeshochschulgesetze) verweisen.
Besondere Zugangsvoraussetzungen: Anspruch auf angemessene Vorkehrungen zum Nachteilsausgleich
Manche Bewerber und Bewerberinnen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten benötigen hinsichtlich der Erfüllung besonderer Zugangsvoraussetzungen geeignete Maßnahmen des Nachteilsausgleichs.
Da es bislang noch keine allgemein anerkannte Regelung des Nachteilsausgleichs in Bezug auf besondere Zugangsvoraussetzungen gibt oder sich noch keine etablierte Praxis entwickelt hat, werden nachfolgend beispielhaft mögliche Konstellationen skizziert:
- Nachweis von Sprachkenntnissen in einer anderen als der vorgesehenen Form oder zu einem späteren Zeitpunkt (beispielsweise weil standardisierte, internetgestützte Testverfahren nicht bedarfsgerecht modifiziert werden können oder Institute, die die Tests abnehmen, nicht barrierefrei zugänglich sind). Die Hochschule könnte dann beispielsweise selbst einen Test durchführen.
- Ersatz einer besonderen Zugangsvoraussetzung durch eine gleichwertige Alternative, beispielsweise wenn bestimmte Voraussetzungen aufgrund entgegenstehender sozialrechtlicher Regelungen (noch) nicht erworben werden konnten.
- Gewährung nachteilsausgleichender Maßnahmen zur Modifikation der Durchführung von Aufnahme- oder Eignungs(feststellungs)prüfungen, beispielsweise Verlängerung der Bearbeitungszeit oder Ersatz einer Prüfungsform durch eine niveaugleiche andere Form.
Falls Bewerber/innen aufgrund von Umständen, die in Zusammenhang mit Behinderung oder chronischer Krankheit stehen und von ihnen nicht zu vertreten sind, hinsichtlich der Erfüllung besonderer Zugangsvoraussetzungen erheblich benachteiligt sind, sollten sie klären, ob und gegebenenfalls wie ein Antrag auf Nachteilsausgleich gestellt werden kann.
Sofern es hochschulseitig keine Vorgaben oder Empfehlungen für die Antragstellung gibt, können Bewerber/innen sich an den Anträgen auf Nachteilsausgleich bei der Vergabe von Studienplätzen und an den Maßnahmen zum Nachteilsausgleich bei Prüfungen für Studierende orientieren.
Vergabeverfahren: angemessene Vorkehrungen
Zulassung in der Härtequote
Die Vergabe- und Zulassungsverfahren sind sowohl bei bundesweit, als auch bei örtlich zulassungsbeschränkten Studiengängen so gestaltet, dass alle Bewerber*innen nach gleichen Maßstäben behandelt werden. Es gibt aber besondere persönliche Situationen, für die andere Kriterien gelten. Daher wird in der Regel ein Teil der Studienplätze (zwischen 2% und 5%) für Bewerber*innen reserviert, für die eine Ablehnung des Zulassungsantrags eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Unter den möglichen Härtefallgründen stehen die Auswirkungen schwerwiegender Beeinträchtigungen an erster Stelle. Gerade Menschen mit Behinderungen brauchen einen diskriminierungsfreien Zugang zur Hochschulbildung, um die eigene berufliche Teilhabe auf Dauer sichern zu können.
Anträge auf Nachteilsausgleich: Verbesserung der Durchschnittsnote - Verbesserung der Wartezeit
Mit Anträgen auf Nachteilsausgleich können Bewerber*innen Umstände geltend machen, die sie daran gehindert haben, eine bessere Durchschnittsnote der Hochschulzugangsberechtigung zu erreichen oder die Hochschulzugangsberechtigung früher zu erwerben. Dies ist insbesondere bei längerer krankheitsbedingter Abwesenheit vom Unterricht oder Unterbrechung des Schulbesuchs während der letzten Jahre vor Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung der Fall.
In der Leistungsquote hat die Durchschnittsnote entweder einen maßgeblichen Einfluss auf die Auswahl oder ist alleiniges Auswahlkriterium. Daher ist der Antrag auf Nachteilsausgleich – Verbesserung der Durchschnittsnote – ein gängiger Antrag auf Nachteilsausgleich und kann sowohl bei bundesweit als auch bei vielen örtlich zulassungsbeschränkten Studiengängen gestellt werden. Der geltend gemachte Nachteil darf nicht bereits durch andere Maßnahmen ausgeglichen worden sein.
Durch Veränderungen der Vergabeverfahren für bundesweit, aber auch z.T. für örtlich zulassungsbeschränkte Studiengänge gibt es immer weniger Studienplätze, die ausschließlich nach Wartezeit vergeben werden. In den Vergabeverfahren für die Medizin- und Pharmazie-Studiengänge wurde sie komplett abgeschafft. Auch einige Bundesländer, z.B. Bayern und Thüringen, sehen keine Wartezeitquote im Vergabeverfahren mehr vor. In anderen Bundesländern werden nur maximal 7 Semester als Wartezeit anerkannt oder aber Wartezeiten können im Rahmen eines Bonussystems geltend gemacht werden.
Wichtig: Das Vergabe-System ist in Bewegung. Die Regelungen für örtlich zulassungsbeschränkte Studiengänge variieren von Bundesland zu Bundesland und z.T. von Hochschule zu Hochschule. Das bedeutet auch: Verfahren zum Nachteilsausgleich müssen sich z.T. neu etablieren. Die aktuelle eigene Recherche ist unverzichtbar.
- Übersicht bei studis-online: Wartesemester im Auswahlverfahren
- Antrag auf Verbesserung der Durchschnittsnote oder Wartezeit (Falls die Anträge nicht mehr zur Verfügung stehen, dient die Übersicht der Orientierung und der Unterstützung der eigenen Argumentation bei der Beantragung angemessener Vorkehrungen.)
Mittelbare Benachteiligung durch zusätzliche Auswahlkriterien schwer auszugleichen
Neben der Durchschnittsnote gibt es bei der Auswahl in der Leistungsquote häufig noch weitere – oftmals mittelbar benachteiligende – Auswahlkriterien. Benachteiligungen können entstehen, wenn beispielsweise chancensteigernde Zusatzqualifikationen beeinträchtigungsbedingt nicht erworben werden konnten.
Je nach Auswahlmethode können auch unmittelbar benachteiligende Bedingungen bestehen (beispielsweise bei Auswahltests oder -gesprächen). Daher sehen manche Hochschulen vor, dass auch ein Antrag auf Nachteilsausgleich zur Modifikation anderer Auswahlkriterien als der Durchschnittsnote gestellt werden kann. Bislang gibt es noch keine allgemein anerkannte Regelung des Nachteilsausgleichs in Bezug auf solche Auswahlkriterien.
Auch die Bedeutung von Studieneingangstests als Möglichkeit, die Chancen auf einen begehrten Studienplatz zu steigern, wird durch geänderte Vergaberegelungen in den bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen Human-, Tier- und Zahnmedizin sowie Pharmazie weiter zunehmen. In der für diese Vergabeverfahren neu installierte Eignungsquote (10%) entscheiden die Testergebnisse maßgeblich über den Platz in der Rangliste.
Bewerber und Bewerberinnen sollten daher klären, ob und gegebenenfalls wie ein Antrag auf Nachteilsausgleich gestellt werden kann. Sofern es hochschulseitig keine Vorgaben oder Empfehlungen für die Antragstellung gibt, können sie sich insbesondere an den Maßnahmen zum Nachteilsausgleich bei Prüfungen für Studierende orientieren.
Beeinträchtigungsbezogene Studienortbindungen: bleiben oft unberücksichtigt
Situation behinderter Studienbewerber*innen
Von Bewerber*innen wird ein hohes Maß an örtlicher Mobilität und fachlicher Flexibilität erwartet. Diese Anforderungen können Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten oftmals nicht im gewünschten Maß erfüllen. Einerseits unterscheiden sich die Hochschulen und die Hochschulstandorte in Bezug auf studienrelevante Bedingungen. Anderseits sind Studierende mit Behinderungen und chronischen Krankheiten in unterschiedlichem Maße auf spezialisierte Behandlungsoptionen, verlässlich organisierte Assistenz und Pflege oder andere Unterstützung vor Ort angewiesen, um überhaupt oder mit Aussicht auf Erfolg studieren zu können.
Häufig keine Berücksichtigung von Ortsbindung vorgesehen
Trotzdem können Studienbewerber*innen in den Vergabeverfahren der bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen - alle Medizinstudiengänge und Pharmazie - eine beeinträchtigungsbedingte Ortsbindung nicht mehr geltend machen. Auch ein späterer Wechsel bei Zulassung an einem nicht bedarfsgerechten Studienort ist nicht (ohne Weiteres) mehr möglich. Allein über die Auswahl möglicher Hochschulstandorte kann Einfluss genommen werden.
In örtlich zulassungsbeschränkten Studiengängen werden Umstände, die zu einer Bindung an den Standort der Wunschhochschule führen, dagegen zum Teil als gleich- oder als nachrangiger Härtefallgrund akzeptiert.
Für Bewerber*innen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten, die sich an Hochschulen bewerben, die Ortsbindungsgründe nicht anerkennen, und die im Rahmen der Härtequote keinen Studienplatz erhalten, gibt es somit häufig keine angemessene Lösung. Da die Wartezeitquote in den besonders stark nachgefragten Studiengängen Human-, Zahn-, Tiermedizin un Pharmazie abgeschafft wurde und der Anteil der Studienplätze, die in anderen Studiengängen noch über die Wartezeit vergeben werden, relativ gering ist, stellt auch „Warten“ auf den Studienplatz am gewünschten Ort i.d.R. keine alternative Strategie mehr dar.
Im Zuge des Bologna-Prozesses hat sich das Studienangebot mehr und mehr ausdifferenziert, so dass ein Ausweichen auf einen anderen geeigneten Standort nicht oder nur bei Änderung der Studiengangentscheidung möglich ist.