Das BAföG ist das zentrale Instrument für Chancengleichheit beim Zugang zur Hochschule. Es bietet Studierenden einen Rechtsanspruch auf staatliche Studienförderung, zumindest zur Hälfte als Zuschuss. In den vergangenen mehr als fünfzig Jahren war das BAföG für Millionen junger Menschen eine Strickleiter für den sozialen Aufstieg; ohne diese Förderung hätten sie sich ein Studium nicht leisten können.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde das BAföG jedoch nicht ausreichend gepflegt. Die Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge erfolgte nur sehr lückenhaft und nach politischer Konjunktur. Die Folge: Das BAföG hat an Kraft verloren. Nullrunde folgte auf Nullrunde. Zum Leben reicht die staatliche Studienfinanzierung vielfach nicht mehr aus.
Der Satz für den Grundbedarf – für Essen, Trinken und Hygiene – liegt unterhalb der „Düsseldorfer Tabelle“. 475 Euro gibt es beim BAföG, 520 Euro bei der Düsseldorfer Tabelle. Mit der BAföG-Wohnkostenpauschale von 380 Euro kann man sich in kaum einer Hochschulstadt noch ein WG-Zimmer leisten.
Und das BAföG erreicht noch immer viel zu wenige junge Menschen. Im Jahr 2012 haben noch fast 30 Prozent aller Studierenden von der Förderung profitiert. Heute sind es zwölf Prozent.
Die Vernachlässigung des BAföG hat doppelte Auswirkungen auf unsere Gesellschaft: Der Konsens, dass der Bildungserfolg nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein darf, steht in Frage. Zudem kann sich unsere Gesellschaft Studienabbrüche aus Geldmangel nicht leisten. Denn die jungen Menschen sind die Lehrkräfte, Ärzt*innen. Ingenieur*innen, IT-Spezialist*innen, die unsere Gesellschaft so händeringend benötigt.
Die Bundesregierung hat in der aktuellen Legislaturperiode zweimal das BAföG erhöht. Die Bedarfssätze und die Wohnkostenpauschale wurden leicht angehoben, die Elternfreibeträge kräftiger erhöht und auch die Altersgrenze angehoben. Zudem wurde mit dem Flexibilitätssemester die Förderhöchstdauer etwas angehoben und die Studienstarthilfe eingeführt. Eine vollständige Digitalisierung des BAföG-Verfahrens steht noch aus, auch wirksame, weitreichende Vereinfachungen hat es nicht gegeben.
Für eine echte Trendwende beim BAföG, für eine staatliche Studienförderung, die mehr junge Menschen unterstützt und zum Leben reicht, braucht es eine grundlegende Reform. Diese muss schnell von der Bundesregierung angegangen werden, sie muss auch in einem Koalitionsvertrag der künftigen Regierungsparteien verankert werden. Dabei sind folgend Punkte vordringlich:
- Das BAföG muss für den Lebensunterhalt und die Ausbildung reichen: In einem ersten Schritt sind deshalb die Bedarfssätze umgehend auf ein existenzsicherndes Niveau anzuheben, mindestens entsprechend der „Düsseldorfer Tabelle“.
- Das BAföG muss automatisch und regelmäßig angepasst werden an die Entwicklung der Preise und Einkommen: Dafür ist eine automatische Dynamisierung von BAföG- Freibeträgen, -Bedarfssätzen, -Sozialpauschalen, Kranken-/Pflegeversicherungs-Zuschlägen und der Minijobgrenze notwendig. Nötig sind verlässliche Anhebungen des BAföG und Unabhängigkeit von politischer Konjunktur.
- Das BAföG muss mehr junge Menschen erreichen. Deshalb sind die BAföG-Freibeträge so zu gestalten, dass sie nicht nur Familien mit niedrigen Einkommen erreichen, sondern auch solche mit unteren mittleren Einkommen. Zudem ist die Förderhöchstdauer auf die Regelstudienzeit plus zwei Semester anzuheben.
- Das BAföG soll als Zuschuss ausgezahlt werden: Insbesondere junge Menschen aus armen Familien fürchten sich vor der Verschuldung – auch beim BAföG, selbst wenn der Darlehensanteil dort auf 10.010 Euro gedeckelt ist.
- Studierende müssen elternunabhängiger werden: Deshalb ist der Garantiebetrag der Kindergrundsicherung bzw. das Kindergeld direkt an die Studierenden auszuzahlen.
- Alle BAföG-Prozesse müssen bundeseinheitlich digitalisiert werden: Die gesamte BAföG-Prozesskette ist vom Antrag über eine echte e-Akte bis hin zu einem e- Bescheid und einer verschlüsselten Plattform zur Kommunikation zwischen BAföG-Ämtern und Antragstellenden bundesweit einheitlich zu digitalisieren.
- Das BAföG muss grundlegend vereinfacht werden: Um das BAföG einfacher zu machen, sind nicht nur Veränderungen der Formblätter, sondern auch gesetzliche Reformen notwendig. So ist der anachronistische BAföG-Leistungsnachweis nach dem vierten Fachsemester zu streichen; er stammt aus der Vor-Bologna-Zeit. Zudem ist der Bewilligungszeitraum für das BAföG auf die Gesamtlänge des Studiengangs (zum Beispiel Bachelor oder Master) zu erweitern.
- Behinderungsbedingte Bedarfe müssen beim BAföG berücksichtigt werden: Damit Studierende mit Behinderung nicht bei mehreren Leistungsträgern Anträge stellen müssen, sind behinderungsbedingte Mehrbedarfe in das BAföG zu integrieren.
- Das Schüler*innen-BAföG ausbauen: Der Zugang zur Hochschule hängt stark auch vom Bildungsgrad der Eltern ab. In Deutschland finden aktuell nur 25 von 100 Kindern aus nicht-akademischen Elternhäusern den Weg an die Hochschule. Haben die Eltern studiert, nehmen 78 von 100 Kindern ein Studium auf. Um dieser Ungleichverteilung potenzieller akademischer Karrieren entgegenzuwirken und den Schüler*innen unabhängig vom Elternhaus eine akademische Karriere zu ermöglichen , sollten Schüler*innen an allgemeinbildenden Schulen, die einen Abschluss ab Klasse 10 anstreben, sowie Fachschüler*innen, die eine berufliche Grundbildung erwerben wollen (z. B. über ein Berufsvorbereitungsjahr), – wie vor der Abschaffung im Jahr 1983 - ein Schüler*innen-BAföG bekommen, auch wenn sie noch im Elternhaus wohnen.
- Die BAföG-Ämter besser ausstatten: Die BAföG-Ämter der Studierendenwerke übernehmen eine hoheitliche Aufgabe, sind aber oft personell und sachlich nicht adäquat ausgestattet. Um die steigenden gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen, brauchen die BAföG-Ämter eine entsprechend bessere Ausstattung. Die Länder müssen für eine entsprechende Finanzierung sorgen.
Diese 10 Punkte wirken nur, wenn die Studierenden auch gut informiert sind. Dazu müssen die Informationsangebote ausgebaut werden, denn viele Studierende sind BAföG berechtigt, wissen davon aber nichts. Hier braucht es zusätzliche finanzielle Mittel der Länder für Informationsangebote in den Schulen und umfassende Beratungsangebote zur Studienfinanzierung, um Hürden abzubauen.