11.09.2024

Tipps und Informationen Nr. 08/2024

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Für die Beratungspraxis

Finanzgericht (FG) Hamburg: Kindergeldrecht – Anforderungen an den Nachweis einer Behinderung

Im vorliegenden Fall versagte die Familienkasse die Kindergeldzahlung für ein volljähriges behindertes Kind (Jahrgang 1987) mit der Begründung, es fehle an dem erforderlichen Nachweis der Behinderung. Die vorgelegten amtsärztlichen Gutachten wurden als nicht ausreichend erachtet, die verlangte amtlich festgestellte (Schwer)Behinderung – Erfordernis gemäß Dienstanweisung – lag nicht vor. Die Mutter klagte und erhielt Recht.

Das Gericht führte zu den Nachweispflichten in Bezug auf die Behinderung aus, dass es entscheidend darauf ankomme, ob eine Behinderung im Sinne der maßgeblichen Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX vorliege. Da die Form des Nachweises der Behinderung nicht gesetzlich geregelt sei, könne eine Dienstanweisung des Bundeszentralamts für Steuern zum Kindergeldrecht (DA-KG 2022 A 19.2) nicht abschließend vorgeben, wie dieser Nachweis zu erbringen sei. Eine Behinderung könne somit auch, wie vorliegend, durch entsprechende ärztliche Bescheinigungen oder Gutachten nachgewiesen werden. Des Weiteren dürfe eine Dienstanweisung Gutachter*innen nicht dazu verpflichten, in ihren Bescheinigungen oder Gutachten Stellung in Bezug auf eine ggf. vorliegende Behinderung abzugeben. Denn diese Rechtsfrage könne nicht durch die behandelnden Ärzt*innen oder Gutachter*innen abschließend beurteilt werden, da sie keine Gesamtwürdigung der Umstände vornehmen könnten. So könne eine Behinderung vorliegen, auch wenn im Gutachten nicht das Wort benutzt werde. Umgekehrt könne es aber auch sein, dass trotz Verwendung des Wortes "Behinderung" durch eine*n Sachverständige*n das Merkmal der Behinderung im Sinne der maßgeblichen Legaldefinition nicht erfüllt sei. Das Urteil ist rechtskräftig.

Auch im Hochschulkontext ergeben sich immer wieder Konflikte rund um Nachweiserfordernisse im Zusammenhang mit Behinderungen/chronischen Krankheiten, z.B. bei der Beantragung der Förderung über die Förderungshöchstdauer beim BAföG, aber auch im Zusammenhang mit Anforderungen von Prüfungsausschüssen an ärztliche Stellungnahmen in Bezug auf die Gestaltung von Nachteilsausgleichen. Das Urteil könnte auch in diesen Beziehungen für Impulse sorgen.

Bundessozialgericht: Verbesserte Hilfsmittelversorgung für Mobilitätseingeschränkte

Nach drei am 18.4.2024 bekanntgegebenen Rechtsentscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) wurden die Krankenkassen dazu verpflichtet, leistungsfähigere (und damit teurere) Hilfsmittel für Mobilitätsbeeinträchtigte zu bewilligen, um die gesetzlich vorgeschriebene Erschließung des Nahbereichs der Wohnung sicherzustellen. Das BSG verstand darunter bislang das fußläufig erreichbare Wohnumfeld. Für leistungsfähigere Hilfsmittel, die auch weitere Wege oder eine Fortbewegung mit mehr als Schrittge­schwin­digkeit ermöglichen, mussten die Krankenkassen bislang nicht aufkommen. Das hat sich mit vorliegenden Entscheidungen geändert, in denen den Klägern das Recht auf eine Versorgung mit motorunterstützten Handbikes bzw. Therapiedreirad zugesprochen wurde. Ihre neue Rechtsprechung begründeten die Kasseler Richter damit, dass inzwischen oft deutlich weitere Wege für die tägli­che Versorgung zurückgelegt werden müssten und sich gleichzeitig die Wege verkürzten, die die Vergleichsgruppe der nicht-gehbeeinträchtigten Menschen durchschnittlich zu Fuß bewältigen würden. Es handelt sich um die BSG-Entscheidungen vom 18.4.2024, Az. B 3 KR 13/22 R, B 3 KR 14/23 R und B 3 KR 7/23 R. Die Argumentationslinien des BSG könnten ggf. auch in anderen Zusammenhängen hilfreich sein.

"PraxisdigitaliS – Praxis digital gestalten in Sachsen": "Digitales lernen inklusiv": Bedeutung, Methoden, Unterrichts-Tools, Checkliste zur Reflektion der eigenen Lehre

Die Handreichung entstand auf der Grundlage des Workshops „Digitales lernen inklusiv“, gehalten von Dr. Anne Goldbach im Sommersemester 2022 im Rahmen des BMBF-geförderten Drittmittelprojekts „PraxisdigitaliS – Praxis digital gestalten in Sachsen“. Es will Lehrende mit Methodenhinweisen, Unterrichtstools und einer Checkliste zur Eigenreflektion in der digitalen inklusiven Lehre unterstützen und informiert zum Thema "Diklusion" (= Digitalität und Inklusion). Auch Lehrende außerhalb Sachsens können davon profitieren. Zusammengestellt wurde das Material von Kim Rehe und Rebekka Haubold 2023 und steht unter einer CC-BY-SA-Lizenz (PraxisdigitaliS).

Aus Hochschulen und Studierendenwerken

FH für Finanzen des Landes Brandenburg: "Ausbildung oder duales Studium mit Behinderung? Kein Problem!" – Erfahrungen von Studierenden und Auszubildenden im Video

Im Aus- und Fortbildungszentrum der FH für Finanzen des Landes Brandenburg sind nach eigenen Angaben Inklusion und Chancengleichheit fest in der Bildungsphilosophie verankert. Anspruch der Hochschule: aktiver Einsatz zur Schaffung einer barrierefreien Lernumgebung und kontinuierliche Arbeit an der Beseitigung von Barrieren und der Realisierung von Chancengleichheit für Anwärterinnen und Anwärter, Dozierende und Mitarbeitende. Auszubildende mit Seh-, Hör- und körperlichen Beeinträchtigungen teilen ihre Erfahrungen in einem Video.

Aus Verbänden, Interessengemeinschaften und der Selbsthilfe

Tacheles e.V.: "Sozialportal.net" zur Unterstützung von Beratungs- und Hilfesuchenden

"Sozialportal.net" will Beratungs- und Hilfesuchende dabei unterstützen, die für ihre Problemsituation passenden Unterstützungen – Beratungsstellen, juristischen Beistand, Selbsthilfeinitiative oder sonstigen Support – zu finden. Das digitale Angebot soll zur Rechtsmobilisierung beitragen und Ratsuchende bei der Verwirklichung ihrer sozialstaatlichen Rechte unterstützen. Umgekehrt bietet "Sozialportal.net" eine Möglichkeit für Beratungsstellen, Rechtsanwält*innen, Selbsthilfeinitiativen und andere unterstützende Stellen, von Ratsuchenden gefunden zu werden. Das Portal ist ein Angebot des Erwerbslosen- und Sozialhilfevereins Tacheles e.V.

Aus Bund und Ländern

Bund: "Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der Ziele des Bologna-Prozesses 2021 bis 2024"

Der Bericht, der unter Mitwirkung aller in der nationalen Arbeitsgemeinschaft „Fortführung des Bologna-Prozesses“ vertretenen Stakeholder entstanden ist, beschäftigt sich im Kapitel "unterrepräsentierte und benachteiligte Gruppen" auch mit den Belangen von Studierenden mit Behinderungen und chronischen Krankheiten. Im Fazit heißt es dazu, dass "weitere Anstrengungen unternommen werden (müssen), um unterrepräsentierte und/oder benachteiligte Gruppen gleichberechtigt in die Hochschulbildung einzubeziehen. Bund und Länder sind sich dieser Problematik bewusst und werden deshalb den eingeschlagenen Weg, allen Studierenden und Studieninteressierten, unabhängig von Bildungshintergrund, familiärer Aufgaben oder individueller Beeinträchtigungen ein Studium zu ermöglichen, konsequent weitergehen und die Chancen auf Teilhabe an Hochschulbildung verbessern."

Internationales: Beiträge aus Österreich zur inklusiven Hochschule

Disability Studies Austria: 3. Österreichische Inter- und Transdisziplinäre Dis/Ability-Forschungswerkstatt – Dokumentation mehrerer Beiträge online

Am 21. Juni 2024 fand an der Uni Graz die 3. Österreichische Dis/Ability-Forschungswerkstatt statt, zu der Studierende und Wissenschaftler*innen, die im Sinne der Disability Studies forschen, eingeladen waren. Die Forschungswerkstatt soll das breite Spektrum der aktuellen Dis/Ability Forschung in Österreich an Universitäten, Pädagogischen Hochschulen, Fachhochschulen und darüber hinaus aufzeigen und die Disability Studies in der österreichischen Forschungslandschaft sichtbarer machen. Vernetzung und Austausch zu neuen Projektideen, Forschungsergebnissen und Methodenanwendung standen im Mittelpunkt. Einen Überblick gibt die Programmseite. Einige Beiträge (s.u.) sind dokumentiert.

Valerie Sophie List: "Ableism sensible Lehre an Hochschulen"

Die Ausgangsthese der Autorin: "Besonders Lehrende stellen im Kontext der sozialen Barrieren einen wesentlichen Schlüsselfaktor dar, wenn es um den akademischen Erfolg und das Vorankommen im Studium von Personen mit Behinderung geht." In ihrem Vortrag geht sie den Fragen nach: "Wie manifestiert sich Ableism in den Beziehungen zwischen Lehrenden und Studierenden mit Behinderung und wie könnte sich eine Ableism-sensible Herangehensweise auf diese Beziehung auswirken? 

Heidi Ulm: "INNklusion – Entwicklung von Assistenzlösungen für Menschen mit Behinderungen in interdisziplinären Teams"

Menschen mit Behinderungen sind häufig Diskriminierungen und mangelndem Zugang in allen Bereichen der Gesellschaft ausgesetzt. Die interdisziplinäre Lehrveranstaltung INNklusion versucht diese Herausforderungen anzugehen, indem sie Menschen mit Behinderungen, Student*innen, Expert*innen und Organisationen zusammenbringt. Studierende verschiedener Fachrichtungen entwickeln gemeinsam mit Betroffenen bedürfnisorientierte Assistenztechnologien und werden von Expert*innen unterstützt. 

"progress"-Beitrag von Michaela Joch (WU Wien): "Studium "all inclusive"?

"Weiterhin bestehen Barrieren und eine enge Leistungsdefinition. Wie utopisch ist inklusive Bildung an den österreichischen Universitäten?" Dieser Frage geht Michaela Joch in einem Beitrag für progress ("Magazin der österreichischen HochschülerInnenschaft") nach. Die Autorin beschäftigt sich in ihrer Doktorarbeit an der WU Wien mit der universitären Zugänglichkeit.

Aus Wissenschaft und Forschung

Hochschule Bielefeld + Aktion Mensch: "Diskriminierung von Menschen mit Behinderungserfahrung durch ChatGPT und Co." – Workshop mit neuen Erkenntnissen

"Große Sprachmodelle wie ChatGPT verwenden herabwürdigende Sprache in Bezug auf Menschen mit Behinderung. Dabei grenzen KI-gesteuerte Modelle auf unterschiedliche Weise aus, zeigen sich aber auch lernfähig." Das sind wichtige Ergebnisse eines interdisziplinären Workshops mit externen Fachleuten aus unterschiedlichen Fachgebieten in der Hochschule Bielefeld. Gemeinsam mit „Aktion Mensch“ möchte das interdisziplinäre Forschungsteam der Hochschule Bielefeld auf Grundlage der Ergebnisse des Workshops ein eigenes Forschungs-Projekt entwickeln. Angedacht ist, Benchmarks für Sprachmodelle zu entwickeln, die es ermöglichen, sie systematisch auf ihren Umgang mit diskriminierender Sprache zu prüfen und zu bewerten.

Uni Tübingen + "Aktion Deutschland hilft": "KIM – Bestandsaufnahme zum Katastrophenmanagement und der Inklusion von Menschen mit Behinderungen"

Die Studie KIM (Bestandsaufnahme zum Katastrophenmanagement und der Inklusion von Menschen mit Behinderungen) wurde vom Internationalen Zentrum für Ethik in der Wissenschaft der Uni Tübingen von Oktober 2023 bis Februar 2024 für die "Aktion Deutschland Hilft e. V." im Nachgang der Hochwasserkatastrophe 2021 in NRW und Rheinland-Pfalz durchgeführt. Ihr Ziel war es, erstmals systematisch die Situation von Menschen mit Behinderungen in Katastrophen und ihre Berücksichtigung im Katastrophenmanagement in Deutschland zu beschreiben und Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung und Verbesserung der Berücksichtigung von Menschen mit Behinderungen zu identifizieren. Die Studie benennt große Mängel und sieht die Aussage der Vereinten Nationen bestätigt, dass es in Deutschland aktuell an strategischen Überlegungen und Handlungen mangelt, wie Menschen mit Behinderungen im Sinne von Artikel 11 der BRK angemessen inkludiert werden könnten. Der Verlass auf die Improvisationsgabe und das Verhalten Einzelner mache deutlich, dass Unterstützungsstrukturen nicht zuverlässig zur Verfügung stünden. Handlungsbedarf bestehe auf allen Ebenen – nicht nur des Katastrophenmanagements oder Bevölkerungsschutzes, sondern auch bei sozialen Akteur*innen und Sozialministerien.

Uni Wuppertal: Informationssystem zur Zertifizierung räumlicher Barrierefreiheit von Sportstätten

Was bedeutet "barrierefrei", wenn es um die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit von Sporthallen, Schwimmbädern und Fitnessstudios geht? Nicht das Fehlen von Vorgaben und Leitfäden, sondern die Fülle von Kriterien, die in der Praxis schwer umsetzbar seien, sowie die fehlende Datenbasis seien die Haupthindernisse bei der Realisierung von räumlicher Barrierefreiheit, so die Forschenden des Fachgebiets Sportpädagogik der Uni Wuppertal. Aktuell werden im Rahmen des vorbereitenden Projekts "NoBars" DIN-Normen, Praxishilfen und Leitfäden ausgewertet, messbare Kriterien identifiziert und in der Praxis überprüft. Wichtige Daten werden zu den Themen "Beschilderung“, „Erreichbarkeit“, „Kontraste“, „Klimatik“, „Licht und Schatten“, „(Un-)Ordnung“, „Bedienbarkeit“ und „Akustik“ erhoben. Ziel ist es, ein praxisnahes Informationssystem zur räumlichen Barrierefreiheit für Projektverantwortliche zu entwickeln sowie in einem zweiten Schritt Kriterien für die Zertifizierung barrierefreier Sportstätten. Aktuell werden noch Ko-Forschende mit Beeinträchtigungen für die Begehung von Sportstätten im Raum Wuppertal gesucht. Bei Interesse bitte melden unter: [email protected]

Publikationen

Witt/Herrmann/Mrohs/Brodel/Lindner/Maidanjuk (Hrsg.): "Diversität und Digitalität in der Hochschullehre – Innovative Formate in digitalen Bildungskulturen"

Im Rahmen der im Oktober 2023 an der Uni Bamberg durchgeführten Tagung "Diversität braucht Digitalität" tauschten sich Fachexpert*innen darüber aus, welchen Beitrag digitale Formate des Lehrens und Lernens für die Umsetzung einer inklusiven und chancengerechten Hochschule leisten können. Den Forschungs- und Entwicklungsfragen näherte man sich aus Sicht der Bildungswissenschaften, Geistes- und Sozialwissenschaften, Fachdidaktiken, Psychologie, Soziologie und (Wirtschafts-)Informatik. Der vorliegende Sammelband bündelt Erkenntnisse der Tagung und liefert Inspirationen für die Gestaltung einer diversitätssensiblen digitalen Lehr-Lernkultur.

  • Publikation (Printversion erschienen im transcript-Verlag; kostenloser Download möglich)

Aktion Mensch: "Inklusionsbarometer Jugend" – Online-Vorstellung der Studie am 8. Oktober

Mit dem "Inklusionsbarometer Jugend" legt die Aktion Mensch erstmals eine Vergleichsstudie über die Teilhabechancen junger Menschen zwischen 14 und 27 Jahren in Deutschland vor. Die Ergebnisse sind nach Angaben der Projektverantwortlichen ernüchternd: Junge Menschen mit Beeinträchtigung haben in allen untersuchten Lebensbereichen eine deutlich schlechtere Chance auf Teilhabe, machen häufiger Diskriminierungserfahrungen, und es treiben sie öfter Zukunftssorgen um. Auch fällt es ihnen deutlich schwerer, Freundschaften zu schließen. Mit Blick auf die Form der Beeinträchtigung sind über alle Lebensbereiche hinweg junge Menschen mit psychischer Erkrankung und jene mit Suchterkrankung am stärksten in der Teilhabe eingeschränkt.

Aus den Medien

taz: "Long-Covid-Erkrankung – Zehrendes Ringen um Anerkennung"

Paula Büttelmann infizierte sich mit Corona und erkrankte am Chronischen Fatigue-Syndrom. Ihr Sportstudium musste sie aufgeben, denn sie schafft heute nicht mehr als 600 Schritte am Tag. Frau Büttelmann berichtet über die Auswirkungen ihrer Long-Covid-Erkrankung, über Ignoranz mancher Kliniken und Ärzt*innen und den gemeinsamen Kampf Long-Covid-Erkrankter um Anerkennung ihrer Erkrankung, eine bessere ärztliche Versorgung und Ausbau der Forschung.

ZDF Magazin Royal: "Chronisch krank, aber niemand glaubt Dir" – Long Covid & ME/CFS: "Probier’s doch mal mit Tee"

Vielleicht braucht es manchmal nicht-übliche Formate, um für ernste Themen – hier: ME/CFS = Chronisches Fatigue-Syndrom – und damit verbundene Handlungsfelder zu sensibilisieren. In der Late-Night-Show wird Partei für die Betroffenen mit der schweren Erkrankung ME/CFS als Folge einer Covid19-Erkrankung ergriffen, die zu oft auf Ignoranz und Unkenntnis in deutschen Arztpraxen und Kliniken stoßen.

ZB 3/2024: "Der Weg zum Herzen eines Menschen geht über das Ohr“ – Im Interview: Dr. Veronika Wolter, ertaubte HNO-Oberärztin mit Cochlea-Implantat 

"Wenn Menschen nicht sehen, werden sie von Dingen getrennt; wenn sie nicht laufen können, von ihrer Umwelt. Wer nicht hören kann, wird von den Menschen im Umfeld getrennt, weil Kommunikation vor allem über Sprache läuft." so Frau Dr. Veronika Wolter, selbst mit neun Jahren ertaubt, in der aktuellen Ausgabe von "ZB - Behinderung und Beruf". Im Interview berichtet sie darüber, wie sie als Betroffene zur Fachärztin ihrer eigenen Erkrankung und Behinderung geworden ist und welche besondere Rolle dabei die Nutzung von Cochlea-Implantaten gespielt hat. Die Spezialistin möchte Aufmerksamkeit auf das Thema Gehörlosigkeit lenken und deutlich machen, dass Hörverlust und Gehörlosigkeit nicht wenige junge Menschen betreffen. Jede*r vier*te (!) Jugendliche habe heute kein altersgerechtes Gehör mehr. Sie ermuntere jede und jeden, nach Lösungen zu suchen, sich optimal behandeln zu lassen, und zu lernen, bestmöglich mit einer Einschränkung umzugehen.

FR: "Es ist nicht gerecht, wenn alle gleich viel verzichten müssen“ – über die besonderen Risiken der Klimakrise für Menschen mit Behinderungen

Andrea Schöne berichtet im Interview über das besondere Risiko der Klimakrise für Menschen mit Behinderungen und ihre persönlichen Erfahrungen als Studentin mit Beeinträchtigung im überhitzten Italien. Wütend macht sie z.B. die Erwartung der Gesellschaft, dass Menschen mit Behinderungen sich wie Menschen ohne Behinderungen ökologisch korrekt verhalten sollen. Dabei wird häufig ausgeblendet, dass Menschen ggf. aufgrund ihrer Beeinträchtigung auf Plastik-Trinkhalme (statt Glashalmen), verpackte Lebensmittel (unverpackt = Keimgefahr!), Flugzeug (statt nicht barrierefreien Bahn- + Bus-Angeboten) oder eine gut geheizte bzw. gut gekühlte Raumumgebung angewiesen sind. "Öko-Ableismus" ist das Stichwort. Auch das eigene Engagement ist nicht immer wie gewünscht möglich, weil Organisationen, die für Klimaschutz eintreten, ihre Aktivitäten oft nicht ausreichend inklusiv gestalten.

Wiarda-Newsletter: "Wie wird das Abitur wieder mehr wert?"

"Das Abitur braucht ein großes Update, damit es eine Zukunft hat." sind sich der Gymnasialleiter Jörg Droste und die frühere Vorsitzende des KMK-Schulausschusses, Cornelia von Ilsemann, im Interview einig. Mit welchen Selbstlern-Kompetenzen junge Menschen ihr Studium aufnehmen, sei entscheidend für den Studienerfolg – so die Ergebnisse aktueller Forschung. Wie also können Schülerinnen und Schüler besser darauf vorbereitet werden, sich nach Studienaufnahme selbst neue Inhalte zu erarbeiten, die richtigen Fragen zu stellen, sich Hilfe zu organisieren und ihrem eigenen Lernprozess eine Struktur zu geben? Vorgeschlagen werden u.a. eine veränderte Zeitstruktur und fachübergreifendes Lernen, wovon auch junge Menschen mit Beeinträchtigungen in Schule und Hochschule profitieren könnten. Das "Bündnis für ein zukunftsfähiges Abitur" hat zu einem "Innovationskongress Oberstufe" eingeladen, um neue Lehr-, Lern- und Prüfungskonzepte vorzustellen und zu diskutieren. Die Überlegungen zum Thema "Lehre – Lernen – Prüfen" in der schulischen Oberstufe könnten auch für Diskussionen im Hochschulkontext interessant sein.  

Termine

BMBF/WiHo-Forschung: Digitaler Lunchtalk zum Thema "Gesundheit, Behinderung und Studienerfolg"

Im Rahmen des Formats "Digitaler Lunchtalk" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) stellt Prof. Alfons Hollederer von der Uni Kassel aktuelle Forschungsergebnisse aus dem Projekt "ErfolgInklusiv" vor. Untersucht wurden anhand empirischer Daten der Zusammenhang zwischen Studienerfolg, Gesundheit und Behinderung unter Studierenden sowie die Wirksamkeit von Nachteilsausgleichen, psychosozialer Beratung und Gesundheitsförderungen an Hochschulen. Als „Stimme aus der Praxis“ wird Jens Kaffenberger, Leiter der Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung (IBS) im Deutschen Studierendenwerk, die Forschungsergebnisse kommentieren und einordnen.

Termin: 27. September (13 - 14 Uhr)
Ort: Online-Veranstaltung
Anmeldung: bis 26. September unter diesem Link
Zielgruppe: Wissenschaftler*innen und alle Akteur*innen, die sich mit dem Thema Gesundheit und Behinderung von Studierenden vor dem Hintergrund des Studienerfolgs befassen
Veranstalter: Bundesministerium für Bildung und Forschung

Aktion Luftsprung: fit4job mit zwei Veranstaltungen zum Berufseinstieg mit chronischer Erkrankung

Kompaktgespräch "Grad der Behinderung – und was du dazu wissen musst“

Junge Menschen mit chronischen Krankheiten, die oft für Dritte auch nach längerer Zeit nicht wahrnehmbar sind, scheuen häufig davor zurück, die Erkrankungen amtlich als Behinderung feststellen zu lassen. Im Gespräch mit Philipp Trögeler, wissenschaftlicher Referent von REHADAT, können offene Fragen zur Feststellung einer Behinderung, dem Grad der Behinderung und den damit verbundenen Nachteilsausgleichen besprochen werden.

Termin: 17. September 2024 (19.00 Uhr)
Ort: digitale Veranstaltung
Anmeldung: per E-Mail an [email protected] mit Betreff "Kompaktgespräch"
Zielgruppe: Betroffene, Angehörige, Ärzt*innen, Therapeut*innen und andere Interessierte

Online-Workshop: "Psychologische Skills + Bewerbungstraining" (zweigeteilt)

Das Angebot wendet sich an junge Menschen mit nicht-sichtbaren systemischen chronischen Erkrankungen zwischen 15 und 28 Jahren, die sich auf den Berufseinstieg vorbereiten. Der zweigeteilte Workshop ist kostenfrei. Im Teil "Psychologische Skills" geht es z.B. um Aktivierung und Stärkung der eigenen Ressourcen und den Umgang mit Absagen potentieller Arbeitgeber oder negativem Feedback im Vorstellungsgespräch. Der zweite Teil widmet sich der Bewerbung, u.a. durch das Simulieren von Bewerbungsgesprächen. Darüber hinaus wird eine individuelle Beratung – Stichwort: Potenzialanalyse – durch eine Psychologin angeboten.

Termin: Teil 1: 11. Oktober 2024 (15.00 - 18.00 Uhr); Teil 2: 12. Oktober 2024 (10.00 - 13.00 Uhr)
Ort: Online-Veranstaltung
Anmeldung: über Formular auf der Homepage
Anmeldeschluss: 27. September 2024
Zielgruppe: junge Menschen mit chronisch-systemischen Erkrankungen (z.B. Rheuma, MS, Mukoviszidose, Morbus Crohn, Neurodermitis) vor dem Berufseinstieg

ETH Zürich: Für eine Welt ohne Barrieren – Cybathlon in der Swiss Arena

Zum dritten Mal initiiert die ETH Zürich den internationalen Cybathlon in der Swiss Arena in Klothen, bei dem Menschen mit Behinderung unter Wettkampfbedingungen mithilfe neu entwickelter Assistenztechnologien alltägliche Aufgaben bewältigen. Für diesen Cybathlon wurden die sechs bestehenden Disziplinen weiterentwickelt und um zwei neue ergänzt: Ein Rennen mit intelligenten Sehassistenztechnologien und mit Assistenzrobotern. Ziel des Projekts ist es, Assistenztechnologien für Menschen mit Beeinträchtigung entscheidend voranzubringen und damit persönliche Autonomie und gesellschaftliche Inklusion zu fördern. "Der Cybathlon motiviert Forschende weltweit, vermehrt anwenderorientiert zu arbeiten", betont ETH-Professor Robert Riener, Initiator des Cybathlons. Rund 80 Teams aus 26 Nationen kämpfen in acht verschiedenen Disziplinen um Medaillen. Es treten sowohl Teams aus der Industrie als auch von Hochschulen an. Die ETH ist besonders stark vertreten. Aus Deutschland sind Hochschulteams aus München und Aachen dabei.

Termin: 25. - 27. Oktober 2024
Ort: live in der SWISS Arena in Klothen; digital: Live-Stream über www.cybathlon.com
Eintrittspreis für Studierende: 33 CHF
Zielgruppe: Interessierte
Unterstützungen: Für Menschen mit Sehbeeinträchtigung stehen Audiodeskriptionen in Englisch und Deutsch zur Verfügung. Für Menschen mit Hörbeeinträchtigung werden die Wettkämpfe in deutscher und internationaler Gebärdensprache übersetzt.
Veranstalter: CYBATHLON ETH Zürich

HFDcon 2024: "Das Netzwerktreffen für Digital-Pioniere an Hochschulen"

Seit nun schon 10 Jahren begleitet das Hochschulforum Digitalisierung (HFD) den digitalen Transformationsprozess an den Hochschulen. Die Macher finden: das ist ein guter Zeitpunkt, um auf gemeinsam Erreichtes zurückzublicken, digitale Horizonte zu erforschen und den Wandel zu feiern. Das Jubiläums-Netzwerktreffen wird im November in Berlin stattfinden. Die Themen Inklusion und hybride Lehre werden in verschiedenen Workshop-Sessions aufgegriffen.

Termin: 13. November 2024 (9:15 - 21:00 Uhr)
Ort: Berlin, Stadtbad Oderberger
Anmeldung: erforderlich
Zielgruppe: "Digital-Pioniere" an Hochschulen
Veranstalter: Hochschulforum Digitalisierung