best3 - Studieren mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung

Statement von

Matthias Anbuhl,  Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks

zur gemeinsamen Pressekonferenz des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZWH) und des Deutschen Studierendenwerks (DSW) am Montag, den 4. Dezember 2023, 11 Uhr.DSW-Geschäftsstelle, Monbijouplatz 11, 10178 Berlin

 

Für uns als Deutsches Studierendenwerk ist die Lage von Studierenden mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung ein wichtiges Thema.

Die Studierendenwerke stehen für Chancengleichheit, für Teilhabe, für Inklusion.

Wir setzen uns für die sozialen Interessen aller Studierenden ein – und besonders auch für Studierende mit Beeinträchtigung.

Unsere Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung, kurz IBS, ist das bundesweite Kompetenzzentrum zum Thema Studieren mit Beeinträchtigung. Mein Kollege Jens Kaffenberger leitet die IBS. Sie wird seit mehr als 40 Jahren gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Wir freuen uns, dass best3 vorliegt!

Und ich freue mich, dass wir die Studie gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, kurz DZHW, vorstellen können.

Die Studierenden kamen im Sommer 2021 raus aus drei Lockdown-Semestern; sie tasteten sich wieder an die Präsenz-Normalität heran. Die Coronavirus-Pandemie klang ab – und Krieg, Inflation und Preiskrise waren nicht absehbar.

Vor diesem Hintergrund muss man „best3“ einordnen.

Und es ist die dritte, repräsentative, bundesweite Befragung von Studierenden mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, nach best1 im Jahr 2011 und best2 im Jahr 2017.

Was sind für uns die wichtigsten Befunde?

  • Erstens: Die Mental-Health-Zahlen sind Anlass zu Sorge

„best3“ zeigt: Der starke Anstieg studienerschwerender Beeinträchtigungen unter den Studierenden ist vor allem ein Anstieg psychischer Erkrankungen und Belastungen.

Vier Pandemiesemester, drei davon reine Lockdown-Semester mit sozialer Isolation, haben bei einem Teil der Studierenden deutliche Spuren hinterlassen.

Die psychologischen Beratungsstellen der Studierendenwerke melden uns: Die psychischen Belastungen der Studierenden sind gravierender, existenzieller geworden.

Früher kamen Studierende wegen klassischer studienbezogener Themen in die psychologische Beratung. Heute reichen die Problemlagen von wirtschaftlichen Existenzängsten bis zu nagenden Zukunftssorgen. Sie haben Ängste, Zweifel, depressive Verstimmungen und häufiger als früher sogar Suizidgedanken.

Die psychologischen Beratungsstellen der Studierendenwerke werden förmlich überrannt. Die Wartezeiten haben sich an vielen Standorten vervielfacht.

Auch die Beauftragten und Berater*innen für Studierende mit Behinderungen der Hochschulen berichten, dass mehr Ratsuchende mit psychischen Erkrankungen und mit komplexen Bedarfen Beratung benötigen. Ihr Arbeitsaufwand ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.

Unser Hochschulsystem ist darauf nicht vorbereitet.

Bund und Länder müssen dringend die personellen Kapazitäten der psychosozialen Beratung sowie auch der Inklusions-Beratung an Hochschulen und Studierendenwerken ausbauen.

  • Zweitens: Von barrierefreien Studienbedingungen sind wir noch weit entfernt

Die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet die Hochschulen zur diskriminierungsfreien Teilhabe von Studierenden mit Behinderungen

  • durch Barrierefreiheit
  • und durch angemessene Vorkehrungen.

Doch best3 zeigt: Noch immer behindern bauliche, kommunikative, organisatorische und didaktische Barrieren ein chancengleiches Studium.

Die zeitlichen und formalen Vorgaben für das Studium sind die größte Hürde für Studierende mit Beeinträchtigung.

Fast drei Viertel berichten über Schwierigkeiten mit dem Leistungspensum, rund die Hälfte über Schwierigkeiten mit Selbstlernphasen und der Prüfungsdichte. Viele studieren wegen ihrer Beeinträchtigung faktisch in Teilzeit.

Der Wissenschaftsrat hat im vergangenen Jahr in seiner Empfehlung für eine zukunftsfähige Ausgestaltung von Studium und Lehre eine „neue Prüfungskultur“ und eine „diversitätssensiblere Ausgestaltung der Lehre“ angemahnt.

Wir müssen über weniger Prüfungen sprechen, und die Studierbarkeit in faktischer Teilzeit muss verbessert werden. Auf der Ebene der Studiengänge selbst müssen altgewohnte Routinen und Prüfungskulturen auf den Prüfstand.

Es geht darum, die Vereinbarkeit von Studium und Beeinträchtigung zu verbessern.

Davon profitieren nicht nur Studierende mit Beeinträchtigungen, sondern auch Studierende mit Kind, Erstakademiker*innen und Studierende, die nebenher arbeiten müssen.

Umfassendes Barrierefreiheit zu schaffen: Das ist eine Querschnittsaufgabe, der sich die gesamte Hochschule und alle Fakultäten stellen müssen.

Ein bewährtes Instrument sind Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Wir wissen von einer zweistelligen Zahl von Hochschulen, die solche Aktionspläne haben. Bei gut 400 Hochschulen bundesweit besteht noch Luft nach oben…

 

  • Damit bin ich beim dritten und letzten Punkt: strukturelle Defizite der staatlichen Studienfinanzierung

Ein erheblicher Belastungsfaktor für Studierende mit studienerschwerenden Beeinträchtigungen ist die ungesicherte Studienfinanzierung. Deutlich häufiger als nicht beeinträchtigte Studierende geben sie an, dass ihr Lebensunterhalt nicht gesichert sei.

Studierende mit studienerschwerenden Beeinträchtigungen sind deshalb auch deutlich häufiger als nicht beeinträchtigte Studierende aufs Jobben angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Mehr als ein Fünftel berichtet aktuell über finanzielle Schwierigkeiten.

Das ist auch eine Folge einer unzureichenden staatlichen Studienfinanzierung, die die Belange der Studierenden mit Beeinträchtigungen nicht ausreichend berücksichtigt.

Mit „Belange“ meine ich zum Beispiel: eine längere Studiendauer, mehr Studienunterbrechungen, beeinträchtigungsbezogene Zusatzkosten oder der Bedarf an Teilzeit-Studienphasen.

Die multiplen Krisen unserer Zeit verstärken die Probleme:

Inflation, ein seit Jahrzehnten überhitzter Wohnungsmarkt, der die Mietpreise gerade in den großen Hochschulstädten in die Höhe treibt, Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln.

Auf der anderen Seite dein schwächelndes BAföG, das immer weniger zum Leben reicht und immer weniger Studierende überhaupt erreicht.

Wir brauchen dringend, gerade für die Studierenden mit Beeinträchtigung, eine Reform der staatlichen Studienfinanzierung.

Das BAföG als Herzstück der staatlichen Studienfinanzierung und als wichtigstes Instrument für Chancengleichheit muss zu alter Stärke zurückgeführt werden.

Die 150 Millionen Euro zusätzlich für das Jahr 2024, die der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags vor zwei Wochen beschlossen hat, sind ein Etappensieg. Die Tour ist noch nicht gewonnen.

Das zuständige Bundesministerium für Bildung und Forschung hat nun einen klaren Auftrag, möglichst rasch eine 29. BAföG-Novelle auf den Weg zu bringen.

Mir ist wichtig: Die Studierenden mit Beeinträchtigung von heute sind die Fachkräfte von morgen, die Ärtz*innen, Ingenieur*innen, Lehrkräfte und IT-Spezialist*innen, die wir händeringend suchen.

Wir brauchen sie. Bund, Länder, Hochschulen und Studierendenwerke sind gefordert, gemeinsam entschlossen für eine bessere Vereinbarkeit von Studium und Beeinträchtigung zu sorgen.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit, und jetzt freue ich mich auf Ihre Fragen.