22.05.2015

Stellungnahme zum Entwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Beteiligungskultur innerhalb der Hochschulen“ der Landesregierung Niedersachsen in Bezug auf die Belange von Studierenden mit Behinderungen

Beim Deutschen Studentenwerk (DSW), Dachverband der 58 Studentenwerke in Deutschland, ist seit über 30 Jahren das Bundeskompetenzzentrum „Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung“ (IBS) angesiedelt. Vor diesem Hintergrund nimmt das Deutsche Studentenwerk zu dem Entwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Beteiligungskultur innerhalb der Hochschulen“ der Niedersächsischen Landesregierung (Stand 14.4.2015) Stellung, soweit dies die Belange der Studierenden mit Behinderungen und chronischen Krankheiten an den Hochschulen in Niedersachsen betrifft.

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7% aller Studierenden haben eine Beeinträchtigung, die sich studienerschwerend auswirkt. Die Gesetzesnovelle ist eine gute Möglichkeit, die Belange von Studienbewerbern und Studienbewerberinnen, Studierenden und Promovierenden mit Behinderungen und chronischen Krankheiten in Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention angemessen abzusichern bzw. weiterzuentwickeln. Dafür sollten aus unserer Sicht insbesondere folgende Punkte überdacht und im Gesetzgebungsverfahren aufgegriffen werden:

  1. Amt des/der Beauftragten für Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen gesetzlich konkret ausgestalten

Das Deutsche Studentenwerk begrüßt die geplante hochschulgesetzliche Verankerung des Amtes der/des Beauftragten für die Belange von Studierenden mit Behinderungen. Damit wird eine wichtige Voraussetzung für die Verwirklichung eines diskriminierungsfreien und inklusiven Hochschulraums geschaffen und den Empfehlungen von Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz entsprochen, die wiederholt auf die besondere Bedeutung der Behindertenbeauftragten für Studierende und Hochschulen hingewiesen haben. Der hohe Stellenwert des Amtes wurde auch durch die Ergebnisse der Datenerhebung „beeinträchtigt studieren“ (DSW 2012) bestätigt.

Bislang sieht die geplante Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 5 des Niedersächsischen Hochschulgesetzes (NHG) jedoch lediglich die Verpflichtung der Hochschulen zur Bestellung eines oder einer Beauftragten für die Belange von Studierenden mit Behinderungen vor, während konkrete gesetzliche Regelungen zu Aufgaben, Mitwirkungsrechten und Ausstattung der Behindertenbeauftragten in der vorliegenden Entwurfsfassung fehlen. Hochschulen sollen stattdessen „Näheres“ in der Grundordnung regeln.

Das Deutsche Studentenwerk plädiert dafür, Aufgaben, erforderliche Mitwirkungsrechte und angemessene Ausstattung der Behindertenbeauftragten im Hochschulgesetz selbst zu verankern und damit landesweit einheitliche Voraussetzungen für eine wirksame Arbeit der Beauftragten zu schaffen. Die gesetzliche Ausgestaltung des Amtes sollte analog zum Amt der Gleichstellungsbeauftragten (§ 42 NHG) in einem eigenen Paragrafen erfolgen, auch um die Bedeutung der Behindertenbeauftragten für die Hochschulen besser sichtbar zu machen. Da sich Studierende mit chronischen Erkrankungen häufig nicht ohne weiteres der Gruppe der behinderten Studierenden zugehörig fühlen, sollte die Amtsbezeichnung in „Beauftragte oder Beauftragter für Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen“ geändert werden.

Das Deutsche Studentenwerk schlägt vor, § 42a neu mit folgendem Wortlaut ins NHG aufzunehmen:

Beauftragte für Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen

Der Senat wählt für eine Amtszeit von in der Regel drei Jahren eine Beauftragte oder einen Beauftragten für die Belange von Studierenden mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen sowie eine Stellvertreterin oder einen Stellvertreter. Er oder sie wirkt mit bei der Verwirklichung von diskriminierungs- und barrierefreien Lehr- und Studienbedingungen, insbesondere bei der Verankerung von Nachteilsausgleichen in Bezug auf Studienzugang, Studienzulassung, Studium und Prüfungen. Er oder sie berät Studienbewerber, Studienbewerberinnen und Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen sowie Mitglieder der Hochschule zum Thema Studium und Behinderungen.

Der oder die Beauftragte ist über alle geplanten Maßnahmen frühzeitig und umfassend zu informieren, die die Belange von Studierenden mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen berühren. Er oder sie hat das Recht, die für die Aufgabenwahrnehmung notwendigen und sachdienlichen Informationen von den Organen und Gremien der Hochschule einzuholen.

Der oder die Beauftragte kann gegenüber allen Organen der Hochschule Stellungnahmen abgeben oder Vorschläge machen, soweit die Belange von Studierenden mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen berührt sind. Er oder sie hat Teilnahme‑, Rede- und Antragsrecht in allen Selbstverwaltungsgremien. Er oder sie ist mit den erforderlichen zeitlichen, personellen und sachlichen Ressourcen auszustatten. Sein oder ihr Arbeitsplatz ist barrierefrei zugänglich.

Das Nähere regelt die Hochschule in ihrer Grundordnung.“

Mindestens sollte der Gesetzgeber bestimmen, dass entsprechende Regelungen zu Aufgaben, Mitwirkungsrechten und Ausstattung der Beauftragten in die Grundordnungen aufzunehmen sind.

  1. Angemessene Vorkehrungen im Studium gesetzlich konkretisieren

Die UN-Behindertenrechtskonvention verknüpft die Forderung nach einem diskriminierungsfreien und gleichberechtigten Zugang zur Hochschulbildung mit der Aufforderung zum Abbau von Barrieren und zur Gestaltung angemessener Vorkehrungen. Konkretisierende gesetzliche Maßnahmen sollten für die Gefahr unmittelbarer wie mittelbarer Benachteiligungen von Studierenden, Studienbewerbern und Studienbewerberinnen sowie Promovierenden mit Behinderungen sensibilisieren und für mehr Verbindlichkeit bei der Umsetzung sorgen. Der Begriff Behinderung, der in den nachstehenden Regelungsvorschlägen verwendet wird, umfasst auch chronische Erkrankungen, sofern diese zu einer Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Teilhabe führen.

  1. Nachteilsausgleiche bei Hochschulzugang, im Studium und bei Prüfungen

Als Aufgabe der Hochschulen sollte in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 NHG-E zusätzlich gesetzlich verankert werden, dass neben Studierenden auch Studienbewerber und Studienbewerberinnen sowie Promovierende mit Behinderungen Anspruch auf Nachteilsausgleich beim Studienzugang, in Zulassungsverfahren, bei der Studienorganisation und in Prüfungen haben.

Das Deutsche Studentenwerk schlägt folgende Ergänzung in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 vor (Ergänzungen fett gesetzt):

(1) „Aufgaben der Hochschulen sind (…)

7. die Mitwirkung an der sozialen Förderung der Studierenden unter Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse (…) behinderter Studierender, Studienbewerber und -bewerberinnen sowie Promovierender, wobei die Hochschulen dafür Sorge tragen, dass behinderte Studierende sie beim Hochschulzugang und in ihrem Studium nicht benachteiligt werden und die Angebote diskriminierungsfrei und möglichst ohne fremde Hilfe in Anspruch nehmen können. Dafür treffen die Hochschulen in ihrem Zuständigkeitsbereich angemessene Vorkehrungen und ermöglichen Nachteilsausgleiche insbesondere beim Studienzugang, in Zulassungsverfahren, im Studium, bei der Studienorganisation und bei Prüfungen.“

  1. Langzeitstudiengebühren: Nachteilsausgleiche und Härteregelung

Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen befinden sich wie Studierende mit Kind oder pflegbedürftigen Angehörigen in einer besonderen Lebenslage, die sich studienzeitverlängernd auswirken kann. Noch immer erschwert und verlängert sich für Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen u. a. aufgrund baulicher, struktureller, didaktischer und kommunikativer Barrieren im Hochschulbereich. Deshalb brauchen sie Nachteilsausgleiche, wie sie in den §§ 12 und 13 NHG für Studierende mit Kind und mit zu pflegenden Angehörigen bereits vorgesehen sind. Für besondere Ausnahmefälle, die durch die Regelungen in den §§ 12 und 13 NHG nicht erfasst werden können, bleibt die vorhandene Härtefallregelung des § 14 NHG wichtig. Gerade für Studierende, die sich schwer tun, ihre Behinderungen als solche anzuerkennen und/oder diese öffentlich zu machen, ist es wichtig, studienzeitverlängernde Tatbestände nachträglich geltend machen zu können. Auch Studierende mit schweren Erkrankungen, die nicht oder nur für eine begrenzte Zeit zu einer Behinderung gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX führen, sind ggf. auf eine Härtefallregelung angewiesen. Das Deutsche Studentenwerk schlägt deshalb folgende Ergänzungen bzw. Änderungen vor:

  • § 12 „Studienguthaben“

In Abs. 3 Satz 1 sollte eine neue Nr. 3a ergänzt werden (Ergänzungen fett gesetzt):

„(…) Das Studienguthaben wird nicht verbraucht in Semestern oder Trimestern, in denen die oder der Studierende

3a. durch eine studienzeitverlängernde Behinderung oder schwere Erkrankung beeinträchtigt ist, (…)“

  • § 13 „Langzeitstudiengebühren, sonstige Gebühren und Entgelte“

In Abs. 1 Satz 2 sollte ein neue Nr. 3a ergänzt werden (Ergänzungen fett gesetzt):

„(…) Die Langzeitstudiengebühr wird nicht erhoben für ein Semester oder ein Trimester, in dem die oder der Studierende (…)

3a. durch eine studienzeitverlängernde Behinderung oder schwere Erkrankung beeinträchtigt ist, (…)“

  • § 14 „Fälligkeit und Billigkeitsmaßnahmen“

In besonderen Härtefällen sollten die Gebühren und Entgelte generell vollständig erlassen werden. Deshalb sollte in Abs. 2 Satz 1 „ganz oder teilweise“ gestrichen werden.

Die Verpflichtung zur Vorlage eines amtsärztlichen Attests in Abs. 2 Satz 3 sollte ersetzt werden durch die Forderung nach „fachärztlichen Attesten oder Bescheinigungen anderer fachkompetenter Stellen“, denn die nicht geringen Kosten des amtsärztlichen Attests müssen Studierende selbst tragen. Behinderungen sind oft schon durch andere offizielle Stellen festgestellt worden, z.B. bei der Beantragung eines Schwerbehindertenausweises, sodass im Einzelfall auf diese Bescheinigungen zurückgegriffen werden kann. Fachärztliche Atteste im Zusammenhang mit Stellungnahmen der Behindertenbeauftragten der Hochschule sind oft von höherer Aussagekraft als amtsärztliche Atteste, die sich häufig ausschließlich auf das fachärztliche Gutachten stützen.

  1. Hochschulzugang diskriminierungsfrei gestalten

Studienbewerber und Studienbewerberinnen mit Behinderungen sind angesichts weitreichender Zulassungsbeschränkungen und großer Spielräume der Hochschulen bei der Gestaltung besonderer Zugangsvoraussetzungen auf Härtefallregelungen und Nachteilsausgleiche in den Zulassungsverfahren angewiesen. Das gilt für den Zugang zu grundständigen wie für den Zugang zu weiterführenden Studiengängen. Der vorliegende Gesetzesentwurf bietet Gelegenheit, rechtliche Regelungslücken zu schließen.

  1. Hochschul-Auswahlverfahren: Anspruch auf Nachteilsausgleich gesetzlich verankern

Zusätzlich zu der etablierten Vorabquote für besondere Härtefälle sind Nachteilsausgleiche in den Auswahlverfahren der Hochschulen erforderlich, um Benachteiligungen bei der Bewertung von Eignung und Motivation von Bewerbern und Bewerberinnen mit Behinderungen zu vermeiden. Der Anspruch auf Nachteilsausgleich für Studienbewerber und Studienbewerberinnen mit Behinderungen sollte im § 5 NHZG (Auswahlverfahren; Festlegung besonderer Quoten) – z.B. als Ergänzung von Abs. 8 – gesetzlich verankert werden. Das Deutsche Studentenwerk schlägt daher folgende Formulierungen vor (Ergänzung fett gesetzt):

§ 5 NHZG „(8) Die Einzelheiten des Auswahlverfahrens regelt die Hochschule nach Maßgabe einer Verordnung nach § 9 Satz 1 Nr. 1 durch Ordnung. Darin sind insbesondere die Höhe der Vomhundertsätze und die Auswahlkriterien festzulegen. Für behinderte Studienbewerber und Studienbewerberinnen sind Nachteilsausgleiche im Auswahlverfahren der Hochschulen vorzusehen, um mittel- und unmittelbare Benachteiligungen zu vermeiden. Bei der Beurteilung des Grades der Eignung und Motivation sind die besonderen Belange behinderter Bewerber und Bewerberinnen zu berücksichtigen. Behinderungsbedingte Verlängerungen von Schul- und Ausbildungszeiten sind nicht zu Ungunsten der Bewerberin oder des Bewerbers zu werten.

Entsprechende Regelungen sind für die Zulassungsverfahren für weiterführende Studiengänge in § 7 NHZG vorzusehen, z.B. durch Ergänzung als neue Nr. 4 in Abs. 1 Satz 2.

  1. Härtefallregelungen für den Masterzugang gesetzlich verankern

Das Deutsche Studentenwerk regt die Einführung einer Härtequote für Studienbewerber und Studienbewerberinnen in allen weiterführenden Studiengängen an und schlägt eine entsprechende Verankerung in § 7 NHZG vor. Dafür sollte von den festgesetzten Zulassungszahlen vorweg ein festgelegter Prozentsatz der zur Verfügung stehenden Plätze für Personen reserviert werden, für die die Ablehnung des Zulassungsantrages eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde, insbesondere weil sie aus besonderen gesundheitlichen, familiären oder sozialen Gründen auf die sofortige Studienaufnahme bzw. auf den gewählten Studienort zwingend angewiesen sind. Die Plätze sollten nach dem Grad der außergewöhnlichen Härte vergeben werden.

In einer solchen besonderen Härtefallsituation befinden sich z.B. behinderte Studierende, die auf eine barrierefrei zugängliche Wohnung und 24h-Assistenz angewiesen sind und deshalb nicht so mobil und flexibel agieren können, wie es im Allgemeinen von Studierenden erwartet wird. Es ist für diese Gruppe in der Regel nicht möglich oder nicht zumutbar, für die verhältnismäßig kurze Zeit des Masterstudiums in eine andere Stadt umzuziehen. Auch Studierende, die ihre studienerschwerenden Beeinträchtigungen erst kurz vor Abschluss des grundständigen Studiums erwerben, können auf Härtefallregelungen beim Zugang zum Masterstudiengang angewiesen sein, wenn keine Bestimmungen zur „Verbesserung der Durchschnittsnote“ zur Verfügung stehen. Denn oft können auch leistungsstarke Studierende beim Auftreten einer schweren länger andauernden Erkrankung oder nach einem Unfall nicht sofort an ihr übliches Leistungsniveau anknüpfen, weil sie sich an ihre veränderte Lebenssituation anpassen, neue Lernroutinen aufbauen und den Gebrauch von Hilfsmitteln erlernen müssen. Nachteilsausgleiche können die behinderungsbedingten Studienerschwernisse in dieser Situation oft nur unzureichend kompensieren. In diesen und anderen besonderen Ausnahmefällen sollte eine Zulassung zum Master im Rahmen einer Härtequote möglich sein. Entsprechende rechtliche Regelungen gibt es z.B. in Hamburg, Hessen, Bayern und Baden-Württemberg.

Das Deutsche Studentenwerk schlägt eine ergänzende Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 1 NZHG (Zulassungsverfahren für weiterführende Studiengänge) als Nr. 4 vor:

„4. Für Studienbewerber und Studienbewerberinnen, für die die Ablehnung des Zulassungsantrages eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde, insbesondere weil sie aus besonderen gesundheitlichen, familiären oder sozialen Gründen auf den gewählten Studienort angewiesen sind, werden 5 % der Studienplätze, mindestens ein Platz, reserviert. Die Studienplätze werden innerhalb der Härtequote nach dem Grad der außergewöhnlichen Härte vergeben.“

Berlin, 22.05.2015

Achim Meyer auf der Heyde

Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks