Das Deutsche Studentenwerk (DSW) ist der Dachverband der 58 Studentenwerke in Deutschland und nimmt satzungsgemäß außerdem sozialpolitische Belange der Studierenden der Hochschulen wahr. Vor diesem Hintergrund nimmt das Deutsche Studentenwerk im Folgenden zu einzelnen Punkten des Entwurfs der Sächsischen Staatsregierung eines Gesetzes zur Änderung hochschulrechtlicher Bestimmungen Stellung.
Zielstellung des Gesetzentwurfs ist es nach seiner Begründung, das Hochschulgesetz weiterzuentwickeln sowie die Freiheit und Eigenverantwortung für die sächsischen Hochschulen und damit ihre Bedingungen im nationalen und internationalen Wettbewerb zu verbessern. Aus Sicht des Deutschen Studentenwerks sind diese Ziele nachvollziehbar und begrüßenswert. Vor dem Hintergrund der Ganzheitlichkeit der Hochschulinfrastruktur, wäre es allerdings folgerichtig und notwendig, in diese Zielstellung auch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Arbeit der sächsischen Studentenwerke einzubeziehen. Deren Leistungen in den Bereichen Studienfinanzierung, Verpflegung, Wohnen und soziale Beratungsund Betreuungsangebote sind unverzichtbar für die Studierenden und deren Studienerfolg. Dies gilt in besonderem Maß unter den aktuellen Bedingungen der Bologna-Reform und einer zunehmend heterogenen Studierendenschaft. Gleichzeitig tragen die Studentenwerke mit ihren Service- und Beratungsangeboten zur Profilbildung der Hochschulen bei. Die mit der Novellierung verbundene Chance auf die Weiterentwicklung des Hochschulgesetzes sollte daher insbesondere an folgenden Stellen genutzt werden:
1. Aufgaben der Studentenwerke
Wie bereits bisher in § 109 Abs. 4 Sächsisches Hochschulgesetz (im Folgenden: SächsHSG) festgelegt, ist die zentrale Aufgabe der Studentenwerke die soziale, wirtschaftliche, gesundheitliche und kulturelle Betreuung und Förderung der Studierenden. Nach der Fassung des Entwurfs des Hochschulfreiheitsgesetzes (im Folgenden: SächsHSFG-E) soll die Regelung ergänzt werden um folgenden S. 2: „Die Studentenwerke berücksichtigen im Rahmen ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit die besonderen Bedürfnisse von Studenten mit Kindern, behinderten Studenten und ausländischen Studenten und fördern die Vereinbarkeit von Studium und Familie.“
Die meisten der in den vergangenen Jahren überarbeiteten Studentenwerks- und Hochschulgesetze anderen Bundesländer enthalten Festlegungen über die Leistungen für besondere Studierendengruppen. Damit wird der Unterstützungsbedarf abgebildet, der sich hier in der Praxis stellt. Dieser Bedarf wurde etwa für Studierende mit Behinderung aktuell durch eine Online-Befragung von mehr als 15.000 Studierenden mit Behinderung und chronischer Krankheit belegt, welche das DSW im Sommer 2011 durchgeführt hat. Danach sind Begleitangebote der psychologischen Beratungsstellen und eine Campusverpflegung, welche die Belange chronisch kranker Studierender berücksichtigt, besonders stark nachgefragt. Bezüglich ausländischer Studierender dokumentieren die Ergebnisse des Sonderberichts der 19. DSW-Sozialerhebung „Internationalisierung des Studiums“ den spezifischen Unterstützungsbedarf sowohl in akademischer als auch in sozialer Hinsicht. Hochschulen und Studentenwerke wirken in diesem Aufgabenfeld zusammen. Die qualifizierte Betreuung ausländischer Studierender ist ein wesentlicher Faktor zur nachhaltigen Sicherung bzw. Steigerung der internationalen Attraktivität der Hochschulen. Die Quote der Studierenden mit Kind liegt in Sachsen bei 7,1% und damit 2 Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt, wodurch diese Studierendengruppe in Sachsen eine hervorgehobene Bedeutung hat.
Die Präzisierung, dass das Leistungsspektrum der Studentenwerke auch die Unterstützung von Studierenden in besonderen Lebenslagen umfasst, ist daher aus Sicht des DSW sinnvoll. Allerdings ist die in der Formulierung des Gesetzentwurfs vorgesehene Einschränkung, dass die Studentenwerke diese Aufgabe nur „im Rahmen ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit“ erfüllen sollen, nach Ansicht des Deutschen Studentenwerks bedenklich. Die Aussage des Gesetzgebers würde die Annahme beinhalten, dass die Studentenwerke nicht mit den notwendigen finanziellen Mitteln ausgestattet werden, um diese Serviceleistungen erbringen zu können. Das Ergebnis wäre eine je nach Kassenlage unterschiedlich ausgestaltete soziale Infrastruktur. Wie in der Begründung des Gesetzentwurfs erläutert, handelt es sich aber um „für das Gemeinwesen weitere wesentliche öffentliche Aufgaben“. Folgerichtig gehen diese über die studentische Selbsthilfe hinaus und bei der Finanzierung kann kein Verweis auf ggf. vorhandene Mittel aus Semesterbeiträgen erfolgen. Bildungspolitisches Ziel muss es stattdessen sein, die betreffenden Leistungen konstant und in dem für die Studierenden erforderlichen Umfang anbieten zu können. Es ist Aufgabe der Länder – hier des Freistaats
Sachsen – die dafür notwendige Finanzausstattung der Studentenwerke sicher zu stellen. Mit Sorge sieht das Deutsche Studentenwerk, dass die Zuschüsse der Länder in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich zurückgegangen sind: Anfang der 1990er Jahre lag der Anteil der Zuschüsse zum laufenden Betrieb im Bundesdurchschnitt noch bei mehr als 24% der Gesamteinnahmen der Studentenwerke - 2011 dagegen nur noch bei 10,2%. In Sachsen lagen sie 2011 mit 6,0% erheblich unter dem Bundesdurchschnitt.
Das Deutsche Studentenwerk fordert daher den Freistaat Sachsen dazu auf, über eine Erhöhung der Landeszuschüsse eine zur Erfüllung der Aufgaben notwendige Finanzausstattung der sächsischen Studentenwerke sicherzustellen und dabei über längerfristige Finanzzusagen die erforderliche Planungssicherheit zu ermöglichen. Bildungsinvestitionen müssen auch in finanziell schwierigen Zeiten als Zukunftsinvestitionen wahrgenommen werden. Dies gilt insbesondere vor den Herausforderungen des demografischen Wandels. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Einschränkung in Bezug auf die finanzielle Leistungsfähigkeit sollte gestrichen werden. Eine solche Bedingung findet sich in keinem anderen Hochschul- und Studentenwerksgesetz in Deutschland und könnte als Armutszeugnis für den Freistaat Sachsen empfunden werden. Dies gilt umso mehr, als eine Reihe anderer Bundesländer in jüngster Zeit teilweise deutliche Mittelerhöhungen an die Studentenwerke vorgenommen hat. So hat Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr eine Zuschusserhöhung von über 4 Mio. Euro vorgenommen. Niedersachsen hat die Finanzhilfe für die Jahre 2012 und 2013 um je 3 Mio. Euro erhöht, Baden-Württemberg im Jahr 2012 um 4,5 Mio. Euro.
2. Studentenwerke auch als Partner der Hochschulen
Studentenwerke sehen sich nicht nur in der wirtschaftlichen und sozialen Verantwortung für die Studierenden, sondern auch als Partner der Hochschulen, zu deren Profilierung sie in zunehmendem Maße beitragen. Dies erfordert eine Abstimmung zwischen Land, Hochschulen und Studentenwerken sowohl auf der strategischen als auch auf der operativen Ebene. Das hierzu erforderliche kooperative Verhältnis zwischen Studentenwerken und Hochschulen sollte auch im Hochschulgesetz zum Ausdruck kommen. Vergleichbar der Regelung in § 2 Abs. 1 Studentenwerksgesetz Baden-Württemberg sollte das Hochschulgesetz in § 109 Abs. 4 um den Satz ergänzt werden: „Die Studentenwerke nehmen ihre Aufgaben im Zusammenwirken mit den Hochschulen wahr.“ Die Partnerschaft mit den Hochschulen beinhaltet zugleich, dass das Studentenwerk Leistungen nicht nur für Studierende erbringt, sondern die Nachfrage der Hochschulen gegenüber dem Studentenwerk nach weiteren Leistungen (z.B. Wohnangebote für Gastwissenschaftler/innen, Kinderbetreuungsangebote auch für Beschäftigte der Hochschulen, Veranstaltungsservice für Hochschulen) steigt. Es ist unstrittig, dass zur Durchführung dieser gewünschten Leistungen weder Landeszuschüsse zum Wohle der Studierenden noch Solidarbeiträge der Studierenden genutzt werden können. Die Studentenwerke sollten aber die Möglichkeit haben, diese Aufgaben flexibel dienstleistungsorientiert in eigener Verantwortung und ohne Genehmigung des Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst gegen Entgelt bzw. unter Nutzung anderer Finanzierungsmöglichkeiten durchführen zu können. Hierzu sollte der bisherige § 109 Abs. 6 SächsHSG wie folgt gefasst werden: „Die Studentenwerke können in eigener Zuständigkeit weitere Aufgaben übernehmen, wie Dienstleistungen für die Hochschulen und deren Mitglieder, etwa die Kantinenversorgung von Landesbediensteten und Schülern sowie den Betrieb von Kindertagesstätten für die Hochschulen, sofern die Erfüllung der Aufgaben nach Absatz 4 und 5 nicht beeinträchtigt wird.“
3. Mitgliedschaft eines Ministeriumsvertreters im Verwaltungsrat
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass neben den bisherigen Mitgliedern im Verwaltungsrat der Studentenwerke nun auch ein/e Vertreter/in des Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst beratendes Mitglied sein soll. Aufgabe des Staatsministeriums ist jedoch nach § 109 Abs. 2 SächsHSG die Wahrnehmung der Rechtsaufsicht über die Studentenwerke bzw. in staatlichen Angelegenheiten der Fachaufsicht. Es stellt eine nicht sinnvolle Vermischung von Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten dar, wenn das Staatsministerium gleichzeitig – wenn auch mit beratender Stimme - an Entscheidungen beteiligt ist, welche es dann im Rahmen der Aufsicht überwachen soll. Die Studentenwerke sind Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung. Das Land sollte daher nicht über den Verwaltungsrat Entscheidungsprozesse beeinflussen können, sondern sich auf die Aufsichtsfunktion beschränken. Soweit es dem Staatsministerium darum geht, Informationen aus der Arbeit des Verwaltungsrats zu erhalten oder teilweise begleitend an Verwaltungsratssitzungen teilzunehmen, stellt dies aus Wahrnehmung des DSW in der Praxis der Studentenwerke regelmäßig kein Problem dar. Eine faktisch institutionalisierte Anwesenheit erscheint hierzu jedoch nicht erforderlich. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Ergänzung des § 111 Abs. 2 SächsHSG sollte daher unterbleiben.
4. Zustimmungserfordernis bei Verwaltungsratsbeschlüssen
Durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011/2012 war mit Wirkung ab 1. Januar 2011 die Vorschrift § 111 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 und 5 und S. 2 SächsHSG geändert worden. Seitdem bedürfen bestimmte Beschlüsse des Verwaltungsrats sowohl der Einwilligung des Staatsministeriums der Finanzen als auch der des Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst. Der Einwilligungsvorbehalt gilt u.a. für die Gewährung von Darlehen durch das Studentenwerk. Damit bedarf etwa die Vergabe von Darlehen an bedürftige Studierende nicht nur der Zustimmung durch den Verwaltungsrat sondern auch der Einwilligung, d.h. der vorherigen Zustimmung, durch zwei Ministerien. Eine solche Regelung gibt es in keinem anderen Studentenwerks- und Hochschulgesetz in Deutschland. In der Praxis führte dies u.a. dazu, dass das Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst vorformulierte Texte zur Beschlussfassung im Verwaltungsrat über die Gewährung von Härtefondsdarlehen übermittelt hatte. Eine freie Entscheidungsfindung kann in solchen Fällen im Verwaltungsrat faktisch nicht mehr stattfinden. Dies ist unvereinbar mit dem Grundgedanken autonomer interessengerechter Selbstverwaltung.
Im vorliegenden Gesetzentwurf ist geplant, dass die beiden Ministerien statt der Einwilligung eine Genehmigung erteilen müssen, d.h. eine Zustimmung nach der Beschlussfassung im Verwaltungsrat. Das DSW schlägt vor, das in § 111 Abs. 3 S. 2 SächsHSG festgelegte Zustimmungserfordernis der beiden Ministerien komplett zu streichen. Dies würde für die Studentenwerke einen Schritt zu einer angemessenen Autonomie bedeuten, wie der Gesetzentwurf dies entsprechend für die Hochschulen als Ziel formuliert.
5. Besondere Belange der Studierenden mit Behinderung bzw. chronischer Krankheit
Um eine ausreichende Berücksichtigung der Belange von Studierenden mit Behinderung möglich zu machen, ist es nach Ansicht des DSW erforderlich, das Amt der/des Beauftragten für die Belange behinderter Studierender gesetzlich festzulegen. Oftmals gibt es an den Hochschulen zwar solche Beauftragte. Deren Stellung ist jedoch in Sachsen – wie auch in einer Reihe anderer Bundesländer – noch nicht gesetzlich verankert. Dementsprechend sind die Beauftragten häufig nicht mit den notwendigen Ressourcen und Mitwirkungsrechten ausgestattet, die sie bräuchten, um ihren vielfältigen Aufgaben gerecht zu werden, wie sie in der HRK-Empfehlung vom 3. November 1986 dargestellt sind und in der HRK-Empfehlung vom 21. April 2009 noch einmal bekräftigt wurden. Nur finanziell und personell gut ausgestattete und qualifizierte Beauftragte können den gestiegenen Informations- und Beratungsbedarf der Studierenden mit Behinderung decken. Sie können die Qualitätssicherung der Hochschulen unterstützen und – im Team mit Kolleg/innen aus den Studienberatungen, den Prüfungskommissionen und Verwaltungen sowie den Lehrenden – für die notwendigen Nachteilsausgleiche sorgen. Das Hochschulgesetz sollte deshalb zur Verankerung des Amtes der Behindertenbeauftragten um eine entsprechende Regelung ergänzt werden, wie etwa das Hamburgische Hochschulgesetz sie in seinem § 88 vorsieht.
Der Gesetzentwurf sieht in § 12 Abs. 2 SächsHSFG-E die Einführung von Studiengebühren bei einer Überschreitung der Regelstudienzeit um mehr als fünf Semester in einer Höhe von 500 Euro für jedes weitere Semester vor. Langzeitstudiengebühren benachteiligen Studierende mit Behinderung und chronischer Krankheit, da sich diese in vielen Fällen studienzeitverlängernd auswirken. Da die Studienbedingungen an den Hochschulen häufig nicht barrierefrei sind, haben die Studierenden einen erhöhten Zeitaufwand, ihren Studienalltag zu organisieren. Insbesondere unter den Bedingungen enger zeitlicher und formaler Vorgaben im Studienablauf sowie eines stark modularisierten Studiensystems führen z.B. krankheitsbedingte Studienausfälle oder behinderungsbedingte Verzögerungen im Studienablauf schnell zu einer Überschreitung der Regelstudienzeit. Es ist daher notwendig, eine Regelung zum Nachteilsausgleich u.a. für die Fälle aufzunehmen, bei denen die Überschreitung der Regelstudienzeit auf die studienzeitverlängernden Auswirkungen einer Behinderung oder chronischen Krankheit zurückzuführen ist. Vergleichbare Regelungen enthalten die Hochschulgesetze anderer Länder, in denen Langzeitstudiengebühren erhoben werden, so z.B. § 6 Bremisches Studienkontengesetz; § 14 Niedersächsisches Hochschulgesetz und § 112 Hochschulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt.
Missverständlich erscheint im Übrigen die bereits bisher geltende Regelung in § 18 Abs. 3, Nr. 5 SächsHSG, wonach die Immatrikulation u.a. bei Studienbewerber/innen versagt werden kann, die an einer Krankheit leiden, die den Studienbetrieb beeinträchtigt. Um das Risiko von Benachteiligungen für die zu fördernde Personengruppe zu vermeiden, sollte diese Regelung gestrichen werden. Das Deutsche Studentenwerk bittet den Sächsischen Landtag, die dargestellten Vorschläge bei der Novellierung des Hochschulgesetzes zu berücksichtigen.
Berlin, 5. September 2012
Achim Meyer auf der Heyde
Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks