Das Deutsche Studentenwerk (DSW) nimmt als Dachverband aller 57 Studenten- und Studierendenwerke in Deutschland zu dem Gesetzentwurf Stellung.[1]
1. Grundsätzliches zur Einordnung
Das Deutsche Studentenwerk sieht in dem geplanten Notfallmechanismus innerhalb des bewährten staatlichen Förderungsinstruments BAföG einen wichtigen ordnungspolitischen Fortschritt. Es ist gut, dass nun in Notlagen die beim BAföG bestehende und funktionierende Infrastruktur bis hin zur Auszahlung über die Landeskassen genutzt werden kann. Das DSW begrüßt deshalb grundsätzlich dieses Vorhaben der Bundesregierung.
Dennoch sieht das DSW durchaus Veränderungsbedarf an dem vorliegenden Entwurf. Die Umsetzung sollte einfacher sein und es sollten insbesondere auch internationale Studierende im Krisenfall ein BAföG beziehen können. Gerade die Umsetzung der Überbrückungshilfe in der Corona-Pandemie hat gezeigt, dass hier internationale Studierende überproportional bedürftig waren und auch durch diese Hilfe erreicht wurden. Es ist folglich notwendig, diese Studierenden mit als Zielgruppe für das „Notfall-BAföG“ aufzunehmen. Zudem sollte ein „Notfall-BAföG“ ebenso wie seinerzeit die Überbrückungshilfe als Vollzuschuss ausgezahlt werden.
2. Initialisierung durch einen Bundestagsbeschluss
Die im vorliegenden Entwurf enthaltene Definition der „bundesweiten[2] Notlage“ soll beim BAföG ausschließlich an den Wegfall ausbildungsbegleitender Nebentätigkeiten anknüpfen.
Die Nothilfe soll zunächst – siehe § 59 Abs. 1 letzter Satz – erst einmal auf die kurze Dauer von drei Monaten befristet sein, kann aber verlängert werden, sofern der Bundestag auf Antrag der Bundesregierung das Fortbestehen der Notlage feststellt.
Die Eingrenzung der Förderung zunächst auf einen kurzen Zeitraum ist verständlich. Das Deutsche Studentenwerk plädiert aber dafür, angesichts der ersten kurzen Dauer der Nothilfe keine kleinteiligen und hohen Anforderungen an die Auszahlung zu stellen.
3. „Notfall-BAföG“ greift nur bei Störung des studentischen Arbeitsmarktes, deshalb kann es klarere Vorgaben für Verordnungsermächtigung geben
Welche Ursachen künftige Krisen haben (z.B. Finanzmarktkrisen, Pandemien, Kriege etc.), die eine nationale Notlage herbeiführen, ist grundsätzlich nicht abzusehen. Der vorliegende Gesetzentwurf schaut auch nicht auf die verschiedenen Ursachen möglicher Krisen, sondern greift einzig und allein bei einer Störung des studentischen Arbeitsmarktes (Wegfall von Nebenjobs). Bleibt die Bundesregierung bei dieser Position, kann sie schon jetzt klarere Vorgaben für die Verordnungsermächtigung machen.
Alternativ wäre es möglich, in einem Notfallmechanismus auch andere Notlagen in den Blick zu nehmen[3].
Eine Verordnung der Bundesregierung kann – je nach Krise – folgende Spannbreite umfassen:
Derzeit (Normalfall) | Handlungsrahmen/ Instrumentenkasten | Krisenfall – erst einmal für 3 Monate |
Ausschließlich Vollzeitstudium | <- § 2 Abs. 5 -> | auch Teilzeitstudium |
Kein Zweit-/Ergänzungs-/Aufbaustudium | <- § 7 -> | auch Zweit-/Ergänzungs-/Aufbaustudium |
Regelungen Fachrichtungswechsel einzuhalten | <- § 7 -> | Regelungen Fachrichtungswechsel ausgesetzt |
Limitiert | <- § 10 Alter -> | unlimitiert/ausgesetzt |
In voller Höhe (nach individueller Bedürftigkeit) | <- § 11 (Bedarf für Lebensunterhalt und Ausbildung) -> | in noch festzusetzender Höhe (z.B. limitiert auf weggefallene 520 €-Jobs) |
Nur innerhalb der Regelstudienzeit | <- § 15 Abs. 2 S. 2 Förderdauer -> | auch oberhalb der Regelstudienzeit |
Zwingend | <- § 48 Leistungsnachweis -> | Ausgesetzt |
50% Zuschuss/50% Darlehen (max. 10.010 €) | <- § 17 Förderungsart -> | 100 % zinsloses Darlehen |
Rein rechtlich sind Studierende nicht zu einer Eigenleistung zum Lebensunterhalt gezwungen:
- beim gesetzlichen Ausbildungsunterhaltsanspruch nach § 1610 Abs. 2 BGB. Jobben Studierende trotzdem, wird dies als Taschengeld nicht (liberale Lösung) oder als Selbstminderung der Bedürftigkeit doch angerechnet (strenge Lösung).
- Wie jedes Sozialleistungsgesetz muss auch das BAföG existenzsichernd für Lebensunterhalt und Ausbildung sein. Gleichwohl wird das Einkommen aus Minijobs (geringfügige Beschäftigung) nicht auf das BAföG angerechnet. Ob BAföG-Empfänger/innen Minijobs ausüben steht ihnen frei. Die Minijobregelung gilt allgemein für alle Bevölkerungsgruppen, Studierende sind nicht ausgeschlossen.
- Bei internationalen Studierenden garantiert der vorher zu erbringende Finanzierungsnachweis, dass Sozialleistungen nicht erforderlich sind. Gleichwohl dürfen internationale Studierende pro Jahr 120 ganze oder 240 halbe Tage jobben. Ob sie das realisieren, steht ihnen rechtlich frei.
Auch wenn Studierende rechtlich nicht jobben müssen, kann dies individuell durchaus nötig sein:
- Dass der BAföG-Bedarf existenzsichernd ist, wird vom Bundesverwaltungsgericht stark angezweifelt. Dies kann de facto ein Jobben zwingend machen. Das Gleiche gilt für den Finanzierungsnachweis, der auf die – nicht existenzsichernde BAföG-Höhe – abstellt.
- Nach der jüngsten 21. Sozialerhebung 2016 ist für 73 Prozent der Studierenden der Herkunftsgruppe „niedrig“ der Nebenjob für den Lebensunterhalt notwendig[4].
Stellt der Initialisierungsbeschluss des Bundestages auf einen Wegfall dieser Nebenjobs ab, müsste für BAföG-Empfänger/innen die Nothilfe – die den Jobwegfall kompensieren soll – „on top“ hinzukommen. Dies ist im vorliegenden Gesetzentwurf nicht eindeutig geregelt.
Auch internationale Studierende sind in den Notfallmechanismus aufzunehmen, da auch ihnen erlaubt ist, einen Nebenjob anzunehmen und dieser ebenfalls wegbrechen kann.
a. Regelungsbereiche, die außer Betracht bleiben oder modifiziert werden können
Nach dem neuen § 59 Abs. 3 BAföG bietet der Rahmen der Ermächtigungsgrundlage des neuen § 59 BAföG der Bundesregierung die Möglichkeit, diesen bezogen auf die Notlage anzupassen.
Dies bedeutet aber auch:
- Viele Kriterien sind noch völlig offen. Damit entziehen sie sich zum jetzigen Zeitpunkt einer Bewertung.
- Ob BAföG-Geförderte die Hilfe (für den Wegfall von Jobeinnahmen) additiv zur regulären BAföG-Förderung erhalten, ist nicht abschließend geklärt.
- Internationale Studierende sowie Studierende, die über die Regelstudienzeit hinaus studieren, können keine Hilfe erwarten. Dies ist nicht nachvollziehbar. Die Nationalität spielt bei der Notlage in Deutschland keine Rolle. Fakt ist auch, dass nur die Minderheit aller Studierenden ihr Studium in der Regelstudienzeit schafft. Sie ist deshalb kein geeigneter Anhaltspunkt für eine Förderungshöchstdauer. Dies sagt auch der Wissenschaftsrat.
- Statt eines Vollzuschusses – wie bei der Überbrückungshilfe – ist ein zinsloser Darlehensanteil bis hin zum zinslosen Volldarlehen vorgesehen. Damit sind für (Berufs-)Schüler/innen und Studierende die Konditionen wesentlich schlechter als bei der Pandemie – und auch im Vergleich zu Kurzarbeitergeld oder SGB II für den Lebensunterhalt von Selbständigen als Vollzuschuss. Ein Vollzuschuss hätte den Vorteil, dass keine Darlehens-Meldung an das Bundesverwaltungsamt gehen muss, das die BAföG-Darlehen einzieht.
Das Deutsche Studentenwerk schlägt vor, diese Punkte abzuändern.
b. Klarheit und Procedere der Regelung
In der 28. BAföG-Novelle geht es um die Installation einer Verordnungsermächtigung. Wie der Rahmen der Verordnungsermächtigung letztlich ausgefüllt wird, ist derzeit nicht abzusehen. Wie der Notfallmechanismus umgesetzt wird, kann folglich zum jetzigen Zeitpunkt nicht bewertet werden.
Das Hauptproblem jedoch ist, dass sich auf Vorrat mit der Ermächtigungsgrundlage eine Vielzahl von Handlungsoptionen gesichert werden und keine Fokussierung auf eine Lösung stattfindet, auf die Vorbereitungen getroffen werden könnten. Dies könnte dazu führen, dass im Krisenfall die Umsetzung der Nothilfe einen sehr langen Zeitraum in Anspruch nimmt. Gerade in der Krise ist es aber unabdingbar, dass die Hilfe schnell ankommt.
Die Verordnungsermächtigung sieht für den Notfall folgendes, recht umfangreiches Procedere vor:
- Eintritt einer Notlage.
- Als Folge der Notlage sind Auswirkungen auf rechtlich fakultative ausbildungsbegleitende Nebenerwerbstätigkeit feststellbar.
- Der Bundestag stellt eine Lage nach § 59 BAföG fest. Der 3-Monats-Zeitraum beginnt.
- Das BMBF erarbeitet einen auf die konkrete Notlage passenden Verordnungsentwurf, der mit den anderen Ressorts usw. abgestimmt wird. -> Ziel: Kabinettsvorlage
- Das Bundeskabinett beschließt eine Rechtsverordnung.
- Die Rechtsverordnung wird im Bundesgesetzblatt verkündet.
- Die für die Durchführung des BAföG zuständigen 16 Bundesländer (BAföG-Ausführung durch Landesverwaltung) beauftragen die drei Hersteller der BAföG-Fachanwendungen mit der Programmierung der Rechtsverordnungs-Regelungen. Dies bezieht sich in Abstimmung der Behörden für Ausbildungsförderung sowohl auf die Antragstellung, als auch auf das Prüfraster sowie die Bescheidung, die sich vom BAföG-Normalfall unterscheidet. Der Verordnungsgeber Bund hat keine Kompetenz des unmittelbaren Einwirkens auf die Hersteller der BAföG-Fachanwendungen. Herr des Verfahrens sind die Bundesländer – jedes jedoch einzeln für das jeweilige Bundesland. Die Software-Umstellungskosten sowie der Mehraufwand der BAföG-Ämter aufgrund des Massenverfahrens trägt das jeweilige Bundesland.
- Pilottestung, Finalisierung.
- Einspielen der Programmierung in die jeweilige BAföG-Fachanwendung des Bundeslandes.
Dieser Ablauf könnte sich langwierig gestalten, die Krisenhilfe oftmals zu spät kommen. Wenn die Bundesregierung mit dem Notfallmechanismus wirklich nur wegbrechende Nebenjobs kompensieren will, könnte man jetzt schon mit Vorarbeiten beginnen und dabei die Erfahrungen aus der Überbrückungshilfe nutzen.
Hierfür sprechen drei Gründe:
- Entscheidend ist nach dem neuen § 59 Abs. 1 nicht die Art der Notlage selbst, sondern ausschließlich die Auswirkung auf die studienbegleitenden Nebentätigkeiten.
- Es handelt sich erst einmal um eine Regelung für lediglich 3 Monate.
- Der Bundestag kann die Regelung jederzeit stoppen (§ 59 Abs. 2).
Dies alles spricht gegen eine größtmögliche Flexibilität, sondern für eine von vornherein festgelegte – und damit planbare und schnell umsetzbare – Regelung.
c. Das Einfügen der Verordnungsermächtigung verursacht keinen Erfüllungsaufwand, bei einer Umsetzung aber massiv
Das Deutsche Studentenwerk sieht einen erheblichen Verwaltungsaufwand bei Umsetzung des Mechanismus. Allein die schiere Anzahl an Anträgen wird einen erheblichen Mehraufwand verursachen. Wie bei jedem BAföG-Antrag sind zudem förderungsfähige Ausbildung, persönliche Voraussetzungen, Leistungsumfang etc. zu prüfen. Ein Erfüllungsaufwand für die BAföG-Ämter entsteht auf jeden Fall. Aufgrund der kurzen Bewilligungszeiträume (§ 59 Abs. 6 Nr. 1) ist zudem nicht ausgeschlossen, dass die Antragsteller/innen mehrere (Folge-)Anträge einreichen und die BAföG-Ämter dann auch mehrere Bescheide ausstellen müssen.
Zudem ist abzusehen, dass bei einem gestörten Arbeitsmarkt auch die Eltern der Auszubildenden von Einkommenseinbußen betroffen wären:
- Wer bisher noch keinen BAföG-Antrag gestellt hat, wird folglich einen BAföG-Antrag stellen. Dies würde dann nicht in einem geringen Maße, sondern erheblich die BAföG-Ämter belasten. Hier drohen durch die enorme zusätzliche Belastung der BAföG-Ämter auch längere Bearbeitungszeiten.
- Sofern sich das Elterneinkommen wesentlich mindert, wäre ein BAföG-Aktualisierungsantrag zu stellen. Additiv zu Neuanträgen würde es die Situation in den BAföG-Ämtern verschärfen.
Dies zeigt, was zu dem Erfüllungsaufwand bei der Umsetzung der Verordnung hinzuträte.
Können Studierende ihre „individuelle Betroffenheit“ (§ 59 Abs. 4 und 5) nachweisen, ist eine – limitierbare – Förderung als BAföG-Normalförderung vorgesehen (grundsätzlich 50 % Zuschuss, 50 % zinsloses Darlehen, aber begrenzt auf max. 10.010 € Darlehens-Rückzahlung). Falls keine „individuelle Betroffenheit“ nachgewiesen wird, kann die Förderung als zinsloses Volldarlehen greifen.
Das in § 59 gewählte Kriterium „individuelle Betroffenheit“ kann dabei nur im Einzelfall nachgeprüft werden, was sowohl für Auszubildende als auch die Verwaltung einen hohen Aufwand bedeuten wird.
d. Fazit
Das Deutsche Studentenwerk begrüßt grundsätzlich, dass ein Notfallmechanismus innerhalb des BAföG etabliert wird. Dies ist ein sehr wichtiger Fortschritt.
Im Krisenfall muss die Nothilfe sehr schnell wirken. Für einen ersten 3-Monats-Zeitraum müssen die Regelungen klar und übersichtlich sein, damit Vorbereitungen getroffen werden können.
Die Hilfe muss – insbesondere wegen der Begrenzung auf eine kurze Dauer – ein Zuschuss sein. Internationale Auszubildende dürfen nicht ausgeschlossen sein. Studierende, die nach Ablauf der Regelstudienzeit noch studieren, müssen ebenfalls einbezogen werden.
Für andere unvorhergesehene Ereignisse (z.B. aktuell: Energie- und Lebensmittel-Preisexplosion, Einmalzahlungen) ist der Weg über die BAföG-Härteverordnung zu wählen.
Berlin, 1. Juli 2022
Matthias Anbuhl
Generalsekretär/Vorstand
[1] Zu dem Referentenentwurf der 28. BAföG-Novelle hatte das DSW auf 9 Seiten Stellung genommen, inkl. einer Übersicht zu den Unterschieden von Überbrückungshilfe und Notfallmechanismus https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/downloads/files/28-bafoegaendg-stellungnahme-dsw.html
[2] Damit wäre klar: Im Fall der länderübergreifenden Flutwelle 2021 im Blankenheim/Ahrtal (Bundesländer Rheinland-Pfalz und NRW), auch Hagen, Wuppertal, Euskirchen, Niederbayern hätte wegen der regionalen Betroffenheit der Notfallmechanismus nicht geholfen.
[3] Szenario: Bei einem bundesweiten Cyber-Angriff auf Hochschulnetze und in Folge virenverseuchte, eingefrorene (gelockte) IT der Studierenden könnten auch finanzielle Grundlagen für die Ersatzbeschaffung z.B. von Computern das Problem sein.
[4] S. 62 der 21. Sozialerhebung 2016. https://www.studentenwerke.de/sites/default/files/se21_hauptbericht.pdf