08.12.2021

Hochschulpolitik

Der Campus nach Corona: sozial, digital, nachhaltig

Statement von Prof. Dr. Rolf-Dieter Postlep, Präsident des Deutschen Studentenwerks im Rahmen der Jahres-Pressekonferenz des Deutschen Studentenwerks, Donnerstag, 9. Dezember 2021, 11 Uhr

DSW-Präsident Prof. Dr. Rolf-Dieter Postlep (C) DSW

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Wir blicken aufs vierte Corona-Semester, aber auch darüber hinaus.

Und wir tun das mit Blick auf die Studierenden – und die Studierendenwerke, denn das ist unsere „Doppel-Mission“:

Wir setzen uns ein

  • für die sozialen Interessen der Studierenden
  • und für die Interessen der 57 Studierendenwerke

Wo stehen wir, wo stehen Hochschulen, Studierende und Studierendenwerke in diesem Wintersemester 2021/2022?

Zunächst einmal: mitten in der „vierten Welle“ der Pandemie.

Aber die Situation an den Hochschulen unterscheidet sich deutlich von zum Beispiel jener an den Schulen. Die Impfquote unter den Studierenden ist überdurchschnittlich hoch; das Pandemie-Management der Hochschulen hat sich bewährt.

Alle Beteiligten, auch die Studierendenwerke, agieren vor Ort mit höchstem Verantwortungsbewusstsein und strikter Einhaltung der Auflagen.

Vor diesem Hintergrund dürfen Hochschulschließungen für mich, wenn überhaupt, dann nur als ultima ratio bei nicht mehr beherrschbarem Infektionsgeschehen in Frage kommen.

Hochschulen sind ein sozialer Ort.

Die Studierenden benötigen den direkten, pandemiegerechten Austausch mit den Lehrenden und mit ihren Mitstudierenden.

Aber eines habe ich in den vergangenen zwei Jahren gelernt: Man darf in einer Pandemie nichts ausschließen… Ich hoffe inständig, dass sie sich die Situation nicht weiter verschlechtert!

Die Pandemie hat die 2,9 Millionen Studierenden stark getroffen; finanziell, sozial und psychisch.

Viele Nebenjobs – und damit oftmals eine zentrale Finanzierungsquelle – fielen weg, fast das gesamte Campus-Leben und damit der soziale Austausch mit anderen Studierenden kam zum Erliegen. Mit drei Semestern fand ein halbes Bachelor-Studium digital statt.

Die Studierenden haben sich mit der älteren Generation und weiteren vulnerablen Gruppen solidarisch gezeigt.

Jetzt brauchen sie die Unterstützung von Bund und Ländern!

Die gestern gebildete Ampel-Koalition will eine „Fortschrittskoalition“ sein.

Wenn sie diesem Anspruch gerecht werden will, muss sie einen Bildungsaufbruch einläuten und für die 2,9 Millionen Studierenden ein Unterstützungspaket schnüren.

In dieses Paket gehören drei Dinge:

 

Eine BAföG-Reform mit „Wumms“

Das 50 Jahre alte Bafög ist eine Erfolgsgeschichte, etliche Millionen junge Menschen hätten sich ohne diese staatliche Studienfinanzierung ein Studium nicht leisten können.

Doch es wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht ausreichend gepflegt. Seit acht Jahren in Folge sinkt die Zahl der BAföG-geförderten Studierenden.

Das BAföG erreicht längst nicht mehr Familien mit mittleren Einkommen, sondern höchstens noch Geringverdienende.

Wir brauchen sehr schnell eine kräftige Erhöhung der Elternfreibeträge, um insbesondere Studierende aus der Mittelschicht wieder zu erreichen.

Es kommt darauf an, dass die nun im Koalitionsvertrag angekündigte BAföG-Reform finanziell kraftvoll und vor allem sehr rasch umgesetzt wird.

Frei nach dem neuen Bundeskanzler Olaf Scholz: Wir brauchen eine BAföG-Reform mit Wumms!

Die Ampel-Parteien haben aber die richtigen Stellschrauben identifiziert. Sie greifen eine Menge unserer Forderungen auf:

  • Die Bedarfssätze und Elternfreibeträge sollen regelmäßig erhöht werden – richtig!
  • Die Förderungshöchstdauer soll verlängert werden – gut so!
  • Ein Notfallmechanismus für Krisenlagen wie diese Pandemie soll ins BAföG eingebaut werden – Klasse!
  • Der Darlehensanteil soll abgesenkt werden – gut!
     
  • Die Beantragung und Verwaltung des BAföG soll schlanker, schneller und digital werden. Das ist für die Studierendenwerke ganz wichtig, denn:

Die endlich bei der Antragstellung begonnene Digitalisierung muss den ganzen Prozess umfassen, auch den e-Bescheid und die e-Akte.

Derzeit müssen nämlich die Studierendenwerke die online eingereichten Anträge ausdrucken – das ist, wenn nicht ein Schildbürgerstreich, dann bestenfalls Digitalisierung ad absurdum!

 

Was als zweites in das Unterstützungspaket für Studierende gehört: bezahlbarer Wohnraum

Ein riesiges strukturelles Defizit im deutschen Hochschulsystem ist der eklatante Mangel an bezahlbarem Wohnraum für Studierende.

Die Zahl der staatlich geförderten Studienplätze ist seit dem Jahr 2007 um 52 Prozent gestiegen, die Zahl der staatlich geförderten Wohnheimplätze der Studierendenwerke aber nur um neun Prozent. Diese Schere darf nicht noch weiter auseinandergehen.

Die vergangenen Jahrzehnte, in denen in der Wohnungspolitik fast ausschließlich blinder Marktglauben vorherrschte, haben eines deutlich gemacht:

Bezahlbaren Wohnraum für Studierende zu schaffen und zu erhalten, das richtet der Markt alleine nicht.

Das haben die Ampel-Parteien erkannt, und sie wollen gegensteuern – endlich! Endlich steigt der Bund, wie wir es seit vielen, vielen Jahren fordern, wieder in die Wohnraumförderung für Studierende ein.

Denn die Ampel-Parteien sagen, ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag:

„Wir legen ein Bund-Länderprogramm für studentisches Wohnen, für junges Wohnen und Wohnen für Auszubildende auf.“ Zitat-Ende

Auch hier wird es darauf ankommen, mit welchem Finanzvolumen es unterfüttert und wie rasch es umgesetzt wird.

Aber dass das nun von allen drei Parteien beschlossen ist, stimmt mich zuversichtlich.

Der Staat ist gefragt – auf allen Ebenen, mit Bund, Ländern und Kommunen.

Wir brauchen eine öffentliche Förderung, einen Bund-Länder-Hochschulsozialpakt in Form von Zuschüssen für den Neubau, die Sanierung und die digitale Nachrüstung der Studierendenwohnheime der Studierendenwerke.

Für den Neubau von mindestens 25.000 zusätzlichen Wohnheimplätzen und die Sanierung ihres Wohnheimbestandes benötigen die Studierendenwerke Bund-Länder-Zuschüsse bis zum Jahr 2027 in Höhe von 2,6 Milliarden Euro.

Nur mit solchen staatlichen Zuschüssen können die Studierendenwerke bei Neubau und Sanierung sozialverträgliche Mieten realisieren.

 

Als drittes gehört in das Paket für Studierende: ein Aktionsprogramm zur Abmilderung psychosozialer Pandemie-Lasten

Die drei digitalen Pandemie-Semester fordern von vielen Studierenden hohen Tribut. Die Nachfrage nach psychosozialer Beratung der Studierendenwerke steigt sehr stark an.

Die Probleme reichen von depressiven Verstimmungen über Einsamkeitsgefühle bis hin zu Ängsten vor Verschuldung, im Extremfall gar zu Suizid-Gedanken.

Wir fordern von der neuen Bundesregierung, das Bund-Länder-Aktionsprogramm, das es für Kinder und Jugendliche bereits gibt, auf Studierende zu erweitern und insbesondere die Finanzmittel für die psychosozialen Beratungsangebote der Studierendenwerke aufzustocken.

Dazu veranschlagen wir zehn Millionen Euro in den kommenden vier Semestern.

Die neue Ampel-Koalition, die eine Fortschritts- und Zukunfts-Koalition sein will, hätte mit dem „Paket“ Bafög, Bauen, Beratung ein hervorragend geeignetes Modernisie-rungsprojekt, dessen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Nutzen auf der Hand liegt.

Die Studierendenwerke haben auf die Krise sehr flexibel reagiert.

Sie haben die Online-Überbrückungshilfe der Bundesregierung professionell umgesetzt und dafür gesorgt, dass rund 200 Millionen Euro bei Studierenden ankamen, die sich wegen der Pandemie in einer finanziellen Notlage befanden.

Sie haben kreative Lösungen für die gastronomische Verpflegung der Studierenden entwickelt, ihre psychologische und soziale Beratung sowie ihre kulturellen Angebote in Rekordzeit auf digitale Formate umgestellt.

Die Wohnheime blieben offen, Studierende in Quarantäne konnten so versorgt werden, und der soziale Zusammenhalt wurde gestärkt.

Kurz: Die Studierendenwerke haben gezeigt, dass sie systemrelevant sind.

Eine starke soziale Infrastruktur im deutschen Hochschulsystem ist eine zentrale Voraussetzung, damit Studieren auch in einer Ära nach Corona gelingt.

Der Ausbau und Modernisierung der sozialen Infrastruktur der Studierendenwerke wurde aber über Jahre hinweg vernachlässigt.

Gerade in der Hochschulgastronomie haben wir einen Modernisierungs-, Sanierungs- und Digitalisierungs-Stau.

Wir benötigen in den Jahren bis 2026 Bund-Länder-Zuschüsse in Höhe von 1,6 Milliarden Euro für den Um- und Ausbau und die digitale Nachrüstung der Mensen.

Die Mensa der Zukunft wird weiterhin ein Zentrum des Campusses sein, aber auch ein digitaler Lern-Ort.

Und die Studierendenwerke werden ihre Anstrengungen, die Mensen klima-schonender zu machen, weiter intensivieren. Sie haben ambitionierte Umwelt- und Klima-Ziele.

Aber wir müssen feststellen: Seit Beginn der Pandemie sind aber die Umsätze in der Hochschulgastronomie dramatisch eingebrochen. Auch auf mittlere Sicht werden sie nicht erholen – erst recht dann nicht, wenn nun Hochschule nach Hochschule wieder in den reinen Digital-Betrieb übergehen sollte.

Die Studierendenwerke dürfen nicht mit den Kosten der Krise alleine gelassen werden!

Denn sie müssten sie auf die Studierenden abwälzen, und das geht nicht. Wir wollen keine höheren Preise in unseren Mensen, Cafeterien und Studierendenwohnheimen.

Und wir wollen keine höheren Semesterbeiträge für Studierende.

Hier sind die Bundesländer gefordert, die Studierendenwerke finanziell stärker als bisher zu unterstützen.